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Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Andrea Camilleri
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lebte, gab es nicht die erforderlichen Mittel dazu. Man sah den Eisschiffen das Alter an, doch nichtsdestoweniger waren sie stabil und voll einsatzfähig. Jedes Schiff hatte eine individuelle Form und Verzierungen, für die Generationen von Kapitänen und Mannschaften verantwortlich zeichneten. Auf den Decks und der Eisfläche der näheren Umgebung des Liegeplatzes arbeiteten pelzbekleidete Leute, deren Atem in der kalten Luft zu Dampfwolken wurde. Sie ent- und beluden die Schiffe. Andere waren damit beschäftigt, Pelzballen, Fässer und Kisten auf Hundeschlitten zu verladen, um alles in die Stadt zu transportieren.
    Unter der tiefliegenden Wolkendecke bellten Hunde, schrien Männer. In einiger Entfernung war ein Walfänger verankert, dessen Besatzung unter sich blieb. Denn sowohl die Nord- als auch die Südeiswalfänger waren lärmfreudige Burschen. Fast alle waren groß von Gestalt und trugen drei Meter lange Harpunen auf ihren Schultern, die sie, ohne Rücksicht auf andere Leute, beliebig herumschwenkten. Sie hatten dichte Vollbärte, auch ihr Haar war dicht und viel länger als üblich. Eine merkwürdig barbarisch wirkende Frisur, die mittels Walfischtran gefestigt war. Walfischtran verlieh auch ihren Bärten Form und Glanz. Ihre Pelzmäntel waren so wertvoll wie die der aristokratischen Oberschicht, denn Walfänger konnten sich, wenn sie erfolgreich waren, so ziemlich alles leisten. Allerdings sahen ihre Mäntel alles andere als gepflegt aus und wurden nachlässig getragen. Arflane war während seiner Laufbahn Kapitän eines Walfängers gewesen und fühlte sich diesen Gesellen verbunden.
    Abgesehen von den wenigen Walfängern, bei denen es sich hauptsächlich um große Barken handelte, gab es auf dem ölglitzernden Eis alle möglichen Boote und Schiffe – Zweimaster, Schoner, Kutter und Schaluppen, die braun, grün oder schwarz aussahen.
    Die Walfänger hatten ausnahmslos einen schwarzen Rumpf – das Blut von Generationen geschlachteter Landwale.
    Arflane konnte die Namen der nächsten Eisschiffe lesen, hätte die meisten von ihnen aber auch so erkannt. Da war die Landwal , ein schwerer Dreimaster aus der Stadt Djobhabn, der südlichsten der acht Städte. Die Landwal hatte einen breiten Bug und lief zum Heck hin spitz zu. Mit ihren flachen Kufen machte sie einen kräftigen, irgendwie sprungbereiten Eindruck. Ein Zweimaster mit Rahentakelung, Heurfrast , benannt nach dem mythischen Sohn der Mutter des Eises, lag in der Nähe. Robbenfelle und Bärenpelze wurden ausgeladen. Anscheinend war der Zweimaster von einer erfolgreichen Jagdexpedition zurückgekehrt. Ein weiterer Zweimaster, Good Wind , nahm Fässer mit Waltran an Bord, und Arflane vermutete, daß er eine Handelsfahrt von Stadt zu Stadt machen würde. Arflane wußte, daß es ein unzuverlässiges Schiff war, das schon viele Besitzer gehabt hatte. Er kannte alle Schiffe mit Namen; er sah die Barke Katarina Ulsenn und ihre Schwesternschiffe, die Nasta sya Ulsenn und die Ingrid Ulsenn , die alle der mächtigen Ulsenn-Familie in Friesgalt gehörten und die Namen der UlsennMatronen hatten. Da waren das Rahschiff Leaper und die schlanke Jagdbarke Bear Scenter , beide aus Brershill. Zwei Handelsboote, klein und wuchtig, kamen aus Chaddersgalt, der Nachbarstadt von Brershill; andere kamen aus Djobhabn, Abersgalt, Fyorsgep und Keltshill.
    Auf der anderen Seite, am anderen Ende der Reihe Walfänger standen die Eisklipper, deren Mäste alle anderen überragten. Sie waren die Könige des Plateaus und glitten doppelt so rasch über das Eis wie jedes andere Schiff. Von ihren Decks konnte man auf die Decks der restlichen Schiffe herabblicken. Das größte und graziöseste dieser Viermastklippen war die Ice Spirit , das Hauptschiff der friesgaltischen Flotte. Sein Erbauer wäre überrascht gewesen, wenn er es jetzt, nach Hunderten von Jahren, gesehen hätte.
    Bug, Bugspriet und Vorderdeck waren mit den langen Schädeln der Pottwale verziert. Die schnabelartigen Mäuler zeigten die grausamen Zähne und waren Beweise der Geschicklichkeit und Tapferkeit der Rorsefne-Familie. Obwohl die Ice Spirit als Schoner bekannt war, handelte es sich bei ihr – nach der alten Seefahrtsterminologie – um eine mit Rahsegeln getakelte Barke. Früher hatten die großen Klipper Vorder- und Achtertakelung, aber das hatte sich als unpraktisch erwiesen, nachdem man die Eisnavigation weiterentwickelt hatte. So setzte man Rahsegel. Aber die alte Bezeichnung Schoner war geblieben. Die
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