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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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der Dauerpointen aus seiner Fernsehshow bringt, sie beobachten, wie der Senf an seinem Daumen herunterläuft, und trauen sich nicht, es ihm zu sagen.
    Als Rafferty Mr Hoovers Gangplatz erreicht hat, stellt er sich nicht über den Direktor, beugt sich nicht nach unten, um ihn anzusprechen. Er achtet darauf, im Gang in die Hocke zu gehen. Seine Hand hält er ganz beiläufig an den Mund, so daß niemand sonst mitbekommen kann, was er sagt. Hoover hört eine Zeitlang zu. Er sagt etwas zu seinen Begleitern. Dann gehen er und Rafferty die Treppen hinauf und suchen sich eine abgelegene Stelle auf halber Höhe einer langgezogenen Rampe, wo der Special Agent die Einzelheiten seiner Botschaft vorträgt.
    Wie es scheint, hat die Sowjetunion an irgendeinem geheimen Ort innerhalb ihrer eigenen Grenzen einen Atomtest durchgeführt. In ungeschminkten, einfachen Worten: Sie haben eine Bombe gezündet. Unsere Aufklärungsinstrumente sagen das ganz unmißverständlich – es ist eine Bombe, eine Waffe, ein Kriegsgerät, es erzeugt Hitze und Druck und Erschütterung. Das ist keine friedliche Nutzung von Atomenergie, um Wohnungen zu beheizen. Es ist eine rote Bombe, die eine große weiße Wolke ausspuckt wie irgendein Donnergott des alten Eurasiens.
    Edgar hält das heutige Datum im Geiste fest. Der 3. Oktober 1951. Er registriert das Datum. Er prägt sich das Datum ein.
    Er weiß, daß dies nicht völlig unerwartet kommt. Es ist ihr zweiter Atomtest. Aber die Nachricht ist schlimm, das setzt ihm zu, er muß an die Spione denken, die die Geheimnisse verraten haben, die Aussicht, daß Atomsprengköpfe an die kommunistischen Streitkräfte in Nordkorea geschickt werden. Er spürt, wie sie immer näher kommen, aufholen, überholen. Das setzt ihm zu, verändert ihn äußerlich, während er dasteht, zieht die Haut straffer über sein Gesicht, versiegelt seinen Blick.
    Rafferty steht auf dem Teil der Rampe, der unterhalb von Mr Hoover liegt.
    Ja, Edgar hält das Datum fest. Er denkt an Pearl Harbor, mal gerade zehn Jahre her, er war an jenem Tag auch in New York, und die Nachricht schien in der Luft zu flimmern, alles im Blitzlichtgewitter, jeder Alltagsgegenstand heiß und aufgeladen.
    Der Lärm der Menge bricht sich über ihnen, ein vielstimmiges Dröhnen, das durch die Hohlräume im Bauch des Stadions hallt.
    Jetzt das, denkt er. Die eigene Hitze der Sonne, die ganze Städte verschlingt.
    Gleason dürfte eigentlich gar nicht hier sein. Genau in diesem Moment findet in einem Studio in Midtown eine Probe statt, und da sollte er sein, bei der Vorbereitung der Sketchserie »The Honeymooners«, die zum ersten Mal in exakt zwei Tagen gesendet wird. Ein Stoff so recht nach Jackies Geschmack, es geht um einen Busfahrer namens Ralph Kramden, der mit seiner Frau Alice in einer armseligen Wohnung in Brooklyn lebt. Gleason findet nichts dabei, eine Probe zu versäumen, um ein paar Fans auf der Tribüne zu unterhalten. Aber Sinatra fühlt sich unbehaglich, all diese Leute, die ihnen die Rückenlehnen abschlabbern. Er ist rituelle Distanz gewohnt. Er will den Menschen nur unter zuvor abgesprochenen Umständen begegnen. Heute hat Frank seinen Italo-Geheimdienst nicht dabei. Und selbst mit Jackie an einer Flanke und Toots an der anderen – ein paar Schweinepriester, die als natürliche Schranke dienen – drängen sich die Leute unablässig heran, demonstrieren ihr Mitteilungsbedürfnis. Er sieht, wie einer nach dem anderen beschließt, daß er unbedingt mit ihm reden muß. Steife Grinsefratzen eiern auf ihn zu. Und wie sie ihn als Bezugspunkt für alles nehmen, was passiert. Einer da unten macht einen schönen Spielzug, sie starren Frank an, wie er wohl reagiert. Der Bierverkäufer stolpert auf einer Stufe, sie starren Frank an, ob er es wohl bemerkt hat.
    Er beugt sich hinüber und sagt: »Jack, es ist wirklich großartig, hier zu sein, aber könntest du dir vielleicht mal ein Handtuch übers Gesicht hängen, damit diese Leute sich wieder auf das Spiel konzentrieren können?«
    Die Leute wollen, daß Gleason was aus seiner Show bringt. Sie rufen ihm die Sätze zu, die er bringen soll.
    Dann sagt Frank: »Wo zum Teufel steckt eigentlich Hoover? Wir brauchen ihn, damit er diese Frauen von unseren Luxuskörpern fernhält.«
    Der Fänger ackert sich aus der Hocke hoch, die Falten seines geröteten Nackens sind staubverkrustet. Er hebt seine Maske an, damit er ausspucken kann. Er ist gepolstert und hat überall Stoßstangen, die Lippen rauh und schrundig und
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