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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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in Versuchung geraten, es zu gebrauchen, und das wäre demoralisierend. Es ist ein milder Tag, ein Glück, und der Regen bleibt aus.
    Der Sendeleiter: »Bleibt spannend bis zum Schluß, Russ.«
    »Hoffentlich mach ich nicht dicht. Mein Kehlkopf fühlt sich an wie im Schraubstock.«
    »Wir sind hier beim Funk, Kumpel. Kannste nicht dicht machen. Denk dran, was da draußen los ist. Die knutschen ihre kleinen Kofferradios.«
    »Davon geht's mir auch nicht besser, vielen Dank.«
    »Die kleben an ihren Empfängern, gottverdammich. Du bist Al Murrow aus London, und du mußt über den Blitz berichten.«
    »Dank dir, Al.«
    »Schone deine Stimme.«
    »Tu was ich kann.«
    »Dieses Spiel ist überall. Jeder Dow-Jones-Ticker schnattert den Stand mit den Börsennotizen raus. Jede Bar in der Stadt, garantiert. Die schmuggeln Radios in die Konferenzräume. Bei Schrafft's unterbrechen sie angeblich die Musikberieselung, um den Spielstand durchzugeben.«
    »All die netten Damen mit ihren abgestimmten Twinsets und vornehmen Schnittchen.«
    »Schone deine Stimme«, sagt Al.
    »Haben die Tee mit Honig auf der Speisekarte?«
    »Die essen und trinken Baseball. Der Kommentator bei den Pferderennen in Belmont informiert zwischendurch über den neuesten Stand. Und den hörst du auch in Taxis und beim Friseur und beim Arzt.«
    Alle warten auf den Werfer, sein Gesicht ist eine einzige Vorahnung, der Oberkörper vorgestreckt, die Handschuhhand baumelt auf Kniehöhe. Er liest das Zeichen wieder und wieder. Er liest das Zeichen. Der Schlagmann zappelt auf seiner Position herum. Dieser Teufelskerl hat einen Wahnsinnswurf drauf.
    Der Shortstop tritt von einem Fuß auf den anderen, um die Trance des Wartens zu durchbrechen.
    Das ist das Gesetz der Konfrontation, getreulich befolgt und jedem trantütigen Werfer ins Gesicht geschrieben, seit es Mannschaften gibt, die Superbas und die Bridegrooms heißen. Der Unterschied kommt, wenn der Ball geschlagen wird. Dann ist nichts mehr wie zuvor. Die Männer geraten in Bewegung, springen aus der Hocke auf, und alles gehorcht dem Kieselhüpfen des Balls, den Drehungen und Backspins und Luftströmungen. Es gibt Koeffizienten des Luftwiderstandes. Es gibt Rücktriftwirbel. Es gibt lauter Dinge, die unwiederholbar Anwendung finden, die Erinnerung der Muskeln, das Pumpen des Blutes, Staubpartikelchen, die Erzählung, die in den Zwischenräumen der offiziellen Spielberichterstattung gedeiht.
    Und auch die Menge befindet sich in diesem verlorenen Raum, die Menge, die sich in jener Tausendstelsekunde wandelt, wenn der Schläger und der Baseball aufeinandertreffen. Ein Rascheln aus Murmeln und Flüchen, Leute, die leise stöhnend keuchen, deren Gesichter sich verändern, während sich auf dem Rasen das Spiel entfaltet, ihr ganzes Blickfeld einnimmt. John Edgar Hoover steht mitten unter ihnen. Er schaut von dem breiten Gang oben an der Rampe zu. Er hat Rafferty gesagt, daß er bleibt. Bringt doch nichts, wenn er weggeht. Das Weiße Haus wird es in weniger als einer Stunde verkünden. Edgar haßt Harry Truman, er würde gern miterleben, wie der sich, gefällt von Brustschmerzen, auf dem Parkett windet, aber das Timing des Präsidenten kann er kaum kritisieren. Wenn wir es zuerst bekanntgeben, hindern wir die Sowjets daran, dem Ereignis ihre eigene hübsche Wendung zu geben. Und wir besänftigen die öffentliche Besorgnis zu einem gewissen Maß. Die Leute werden begreifen, daß wir die Nachricht unter Kontrolle haben, wenn schon nicht die Bombe. Das ist durchaus ein Grund zur Sorge. Edgar betrachtet die Gesichter um ihn her, sie sind offen und hoffnungsfroh. Er möchte die Nähe eines Mitbürgers spüren, die Übereinstimmung. Nichts hat all diese Menschen, geprägt durch Sprache und Klima und Lieder und Frühstücksgewohnheiten und die Witze, die sie erzählen, und die Autos, die sie fahren, je so miteinander verbunden wie dies: in der Spalte der Zerstörung zu sitzen. Er versucht, ein Zugehörigkeitsgefühl zu empfinden, den zugedrehten Hahn seiner alten Seele zu öffnen. Aber da ist ein Zustand der Verbitterung, den er nie zu benennen wußte, und sobald er durch den moralischen Niedergang, der sich überall abspielt, eine Bedrohung von außen erfährt, entdeckt er darin etwas Stabilisierendes für seinen Zustand, eine aufbauende Kraft. Natürlich protestiert sein Magengeschwür. Aber er hat diese Seite, diese Eigenschaft, die von der Stärke des Feindes abhängig ist.
    Da ist der Mann auf den billigen Plätzen, der
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