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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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den Gang auf und ab tigert, einer der Irren des Viertels, er wedelt mit den Armen und murmelt, klein, vierschrötig, mit buschigen Haaren – könnte einer der Ritz Brothers sein oder ein vergessenes Mitglied der Three Stooges, der Vierte Stooge namens Flippo oder Dummy oder Shaky oder Jakey, und er lenkt die Leute in seiner Nähe ab, sie schreien ihn an, hinsetzen, haudochab, biswohlmeschugge, und er tigert auf und ab und sorgt sich, er schüttelt den Kopf und stöhnt, als wüßte er, daß etwas kommt oder gekommen ist oder schon wieder weg ist – er ist empfänglich für Dinge, die selbst dem scharfsinnigsten Fan entgehen.
    Zur Baseballhymne zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des siebten Innings kehrt ein Direktor mit steinerner Miene auf seinen Platz zurück. Er sagt natürlich nichts. Gleason brüllt einen Verkäufer an, versucht, Bier zu bestellen. Leute sind aufgesprungen, versuchen die Spannung und den Ärger abzuschütteln. Ein Mann putzt sich langsam die Brille. Ein Mann starrt. Ein Mann reckt sich die Steifheit aus den Gliedern.
    »Für mich einen Brandy mit Soda«, sagt Toots.
    Jackie rät ihm: »Sei nicht dein ganzes Leben eine Matschbirne.«
    »Behandle den Mann anständig«, sagt Frank. »Für einen Juden, der trinkt, hat er es weit gebracht. Er ist dick befreundet mit Welt großen, von denen du nicht mal gehört hast. Früher oder später laufen sie alle bei ihm in der Kneipe ein und kippen mit Toots einen Brandy. Außer vielleicht Mahatma Gandhi. Und den haben sie erschossen.«
    Gleason sträubt die Brauen und macht Glubschaugen und wirft ruckartig die Arme hoch, wie der Schwachkopf, der's geschnallt hat.
    »Das war der Name, der mir nicht eingefallen ist. Der Zwerg, der nur im Notfall den Schlagmann macht.«
    Die Leute in ihrer Umgebung hören das zum Teil, reagieren vor allem auf Tonfall und Gestik – sie haben gesehen, wie Jackie die Bemerkung körperlich aufgebaut hat, und biegen sich schon vor Lachen, bevor die Pointe ganz draußen ist.
    Edgar lacht auch, trotz der Neuauflage des Zwergenmotivs. Er bewundert die grobe Selbstsicherheit dieser Männer. Sie scheint ihnen aus den Poren zu quellen. Sie haben ein Format an sich, eine natürliche Kraft, die seine eigene Sonntagsschulindoktrination verhöhnt, ihn zugleich aber zu dem ganzen Getöse hinzieht. Er ist ein selbstperfektionierter Amerikaner und hat die Saga des Rumtreibers zu respektieren, der aus einer Mietskasernenkultur aufgestiegen ist, von der schiefen Bahn gefährlicher Seitenstraßen. Das sorgt für ein ungestümes Ego, für Appetit. Die Muschigauner Jackie und Frank legen bei Frauen eine angeberische Ungezwungenheit an den Tag. Und es stimmt ja, daß Toots jeden kennt, den zu kennen sich lohnt, und selbst Gleason unter den Tisch trinken kann. Und wenn er dir seine joviale Tatze auf die Schulter haut, hast du das Gefühl, er ist eine Kraft der Vorsehung, gekommen, um dich aus deiner alten Verzagtheit zu erlösen.
    Frank sagt: »Dieses Inning gehört uns.«
    Und Toots: »Wehe wenn nicht. Diese Stinkstiefel von Dodgers machen mich nervös.«
    Jackie gibt Biere durch die Reihe weiter.
    Frank sagt: »Sieht so aus, als hätten wir mittlerweile alle kundgetan, für wen wir wirklich sind. Als hätten wir unsere Herzenswünsche verraten. Wir haben hier ein paar Uraltfans der Giants. Und dieses Walroß mit seiner Brooklynfrisur. Aber was ist mit unserem Freund, dem G-Mann? Steht das G für Giants? Spuck's aus, Jedgar. Welche Mannschaft ist deine?«
    J. Edgar. Manchmal nennt Frank ihn Jedgar, und dem Direktor gefällt der Name, obwohl er es sich nie anmerken läßt – der Name klingt mittelalterlich und prinzlich und listig-finster.
    Ein schwaches Lächeln kriecht über Hoovers Gesicht.
    »Ich bin kein Fan. Wer gewinnt«, sagt er leise, »ist meine Mannschaft.«
    Er denkt an etwas ganz anderes. Wie unsere Alliierten einer nach dem anderen die Nachricht von der sowjetischen Bombe erhalten. Der Gedanke hat etwas grimmig Erheiterndes. Über die Jahre haben sich Joint Ventures mit den Geheimdienstchefs einer ganzen Reihe von Ländern als notwendig erwiesen, und er wünscht ihnen allen ein bißchen den Tod an den Hals.
    Man muß sich diese Vier mal anschauen. Jeder hat ein Tüchlein ordentlich in der Brusttasche stecken . J eder hält sein Bier vom Körper weg, beugt sich vor, um den hohen Schaum vom Rand des Bechers zu lupfen. Gleason mit einer Blume am Revers, einer feuchten Aster, die er aus einer Vase bei Toots stibitzt hat. Die Leute
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