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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann
Autoren: Thomas Knellwolf
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Vorwort
    Über ein Jahr lang durften oder mussten wir bei der unfreiwilligen Kachelmann-Peepshow zuschauen. Alles begann Ende März 2010, als bekannt wurde, dass der Wettermoderator ein Vergewaltiger sein soll. Von Anfang an bestritt Jörg Kachelmann den Vorwurf. Doch das hielt die Medien nicht davon ab, sein Privatleben zu sezieren. Kaum besser erging es der Frau, die ihn angezeigt hatte, und zahlreichen Personen in beider Umfeld.
    Die Zwangshauptdarsteller boten uns eine Tragödie mit vielen komischen Elementen. Der Spannungsbogen war allzu menschlich: Es ging um Liebe, die sich als halbe Liebe entpuppte, um Sex, um männliche Macht, um Unterwerfung, um Mehrfachbeziehungen, ums Verlassenwerden, um Kränkungen und um Rache oder Sühne. Der Fall Kachelmann machte nicht nur Konsumenten von Boulevardblättern, sondern auch solche von seriöseren Zeitungen zu Voyeuren. Halb fasziniert, halb angewidert verfolgten Deutschland und die Schweiz, wie wenig die Persönlichkeitsrechte Jörg Kachelmanns geachtet wurden und wie wenig die Intimsphäre seiner Liebschaften.
    Der letzte Akt spielte im Saal 1 des Mannheimer Landgerichts. Er zog sich schier endlos hin: Die Justiz schaffte es nicht, dem Alltagsfall Herr zu werden, den die Medien zum Ausnahmefall gemacht hatten. Die Beteiligten und auch das Rechtssystem waren an allen Ecken und Enden überfordert. Die juristische Auseinandersetzung zog sich unzumutbar lange hin. Sie belastete die Betroffenen zeitlich, finanziell und vor allem psychisch mehr, als es für die Wahrheitsfindung erforderlich gewesen wäre. Erst nach über acht Monaten und nach mehr als vierzig Verhandlungstagen fiel das Urteil.
    Es ist kaum vermessen, beim Fall Kachelmann von einem Medien- und einem Justizskandal zu sprechen. Die Frage, wie es dazu kommen konnte, wurde bislang zu wenig gestellt und nie vertieft beantwortet. «Die Akte Kachelmann» soll dies versuchen. Wir wollen die überlange Peepshow nicht fortsetzen, sondern nacherzählen und analysieren, wie es dazu kam.
    Das Buch beruht auf unzähligen – meist vertraulichen – Gesprächen mit Involvierten und auf der Auswertung umfangreicher schriftlicher Quellen. Basis bilden also Informationen, die dem Autor nach gründlicher Recherche zu Verfügung standen. Das Ganze bleibt aber ein Bericht aus subjektiver Sicht und damit eine Bewertung des Schreibenden. Einzelne Begebenheiten mögen sich tatsächlich anders zugetragen haben und Aussagen nicht wortgenau wie dargestellt gemacht worden sein. Äußerungen von Prozessbeteiligten, Zeugen oder sonstigen Personen, die wiedergegeben werden, stellen nicht die Meinung des Autors oder des Verlages dar. Die Namen aller Personen, die im Buch mit abgekürzten Nachnamen versehen sind, wurden geändert. Zum Schutz der Betroffenen wurden auch biografische und andere Angaben geringfügig verändert.

Die Nacht von Schwetzingen
    Die Jeans knöpft er sich zu und vielleicht auch das Flanellhemd. Er schlüpft in die geliebten Cowboystiefel, sogar zu Anzügen trägt er diese Schuhe. Der Ein-Meter-Neunzig-Mann huscht am Kaktus vorbei, der fast so groß ist wie er. Er gelangt vom Wohnzimmer mit der holzverkleideten Dachschräge in einen schmalen Flur. Dort schnappt er sich vermutlich seinen Wintermantel, den er auf den Boden hat fallen lassen.
    Nichts ahnend war er zwei Stunden zuvor eingetreten – oder waren es eineinhalb oder drei? Nun verlässt er für immer die Dachwohnung im zweiten Stock und bald auch das Städtchen Schwetzingen im Rhein-Neckar-Kreis in Baden-Württemberg. Dazwischen liegen die verhängnisvollsten Stunden des Jörg Kachelmann. Und die verhängnisvollsten von Sonja A., der Moderatorin von Radio Sunshine Live, für die der Schweizer Wetterexperte die Liebe ihres Lebens war. Bis eben noch.
    Eineinhalb Monate später wird Jörg Kachelmann das erste und einzige Mal mit den Ermittlern über seinen letzten Besuch im Kleinen Feld reden, einem Wirtschaftswunderwohnviertel, wie es sich in fast jeder westdeutschen Stadt findet. Er, mittlerweile Untersuchungshäftling H 08 1008 100 553, will die Behördenvertreter im Mannheimer Amtsgericht glauben machen, wie harmlos alles verlaufen sei um Mitternacht vom 8. auf den 9. Februar 2010. «Wir haben uns normal, aber emotional verabschiedet», wird Jörg Kachelmann aussagen.
    Sonja A., nach seiner Darstellung eine dauerhafte Gelegenheitsgeliebte, immer virtuell und ab und zu sexuell, habe «keine Vertrauensbasismehr für eine Beziehung» gesehen. Und er habe «nicht
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