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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann
Autoren: Thomas Knellwolf
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gekämpft». Er habe niemanden mit einem Messer bedroht. Und schon gar nicht jemanden vergewaltigt. Das schwört Jörg Kachelmann, «bei allem, was mir heilig ist». Der Amtsrichter, der ihm zuhört, wird ihm kaum ein Wort glauben.
    «Das war es wohl», will Jörg Kachelmann in der Schwetzinger Nacht ganz zum Schluss gesagt haben. Und Sonja A., so erzählt er, antwortet: «Ja.» Dann sei er – so heißt es im Protokoll über die Vernehmung des Beschuldigten vom 24. März 2010 – «ganz normal runtergelaufen». Draußen sind die Hecken, die Holzzäune und die Reihenhäuser dunkle Schatten.
    Wie Dreck, wird Sonja A. aussagen, habe er sie liegenlassen. Nach einem gemeinsamen Jahrzehnt und etwas mehr. «Wenn Du irgendwas erzählst, bringe ich Dich um!» Das sollen seine Abschiedsworte gewesen sein.
    «Am Dienstag sind wir überall im Dauerfrostbereich», hat Jörg Kachelmann angekündigt, als er am Samstag davor das «Wetter im Ersten» ansagte. Die Sendung hatte er mit einem sonderbaren, aber für ihn nicht abnormalen Satz begonnen: «Die radikale Minderheit der noch warm temperierten Menschen wird immer radikaler und kleiner.»
    Der Mann, der jetzt in die kalte Nacht tritt, beendete seinen letzten Auftritt in der ARD-Wettersendung mit Pathos in der Stimme: «Es ist wichtig, dass Sie jetzt dranbleiben im Ersten. Eine der tollsten und ältesten und traditionellsten Sendungen kommt jetzt: ‹Das Wort zum Sonntag›.»
    Nun, ganz früh an diesem Dienstag, dem 9. Februar, liegt auch Schwetzingen, wie vorhergesagt, im Dauerfrostbereich. Doch Jörg Kachelmann, dem Wind- und Wettermann, macht Kälte nichts aus. Er steigt in seinen Volvo S 80 und fährt los. Aber wohin? Bereits zum Frankfurter Flughafen? Von dort will er nach Vancouver fliegen, zu den Olympischen Spielen, allerdings erst am Mittag. Und bis dahin?
    Die gestreifte Bettdecke ist voller Blut und anderer Körperflüssigkeiten. Die Flecken werden in der Strafsache Jörg Kachelmann einezentrale Rolle spielen. Sonja A. liegt da, lange, gelähmt vor Angst. So wird die 37-Jährige den Anfang der verbleibenden Nacht schildern, in der nicht nur ihr Schicksal eine tragische Wende nimmt und jenes von Jörg Kachelmann, sondern auch das Leben unzähliger weiterer Menschen in beider Umfeld, die noch nichts davon ahnen. Nur langsam habe sie in jener Winternacht realisiert, was ihr widerfahren sei: Was der Mann, den sie über alles geliebt habe, ihr eben angetan hat. Irgendwann steht Sonja A. auf.
    Doch was genau hat er ihr angetan? Hat Jörg Kachelmann Sonja A. bloß gedemütigt, indem er zugab, dass er sie mit einer anderen Frau betrogen hat? Indem er einräumte, «nicht in jeder Phase meines Lebens monogam gelebt» zu haben? So wird er sich in einem tränenreichen Interview zitieren lassen. Kränkte er sie, indem er über ein Jahrzehnt Liebesbetrug mit zahlreichen Parallelbeziehungen gestand? Oder war es dramatischer und so verbrecherisch, wie Sonja A. es sagt? Hat er sie bedroht, in Todesangst versetzt, sie seelisch und körperlich schwer misshandelt?
    Nur zwei kennen die Wahrheit. Die eine Person, der mutmaßliche Täter, sitzt hinterm Steuer in jener Februarnacht. Knapp 70 Kilometer sind es von Schwetzingen zum Frankfurter Flughafen. Tagsüber fährt man eine Dreiviertelstunde, nachts ist man schneller unterwegs. Die zweite Person, welche die Wahrheit kennt, geht auf die Toilette, dann wie ferngesteuert durch die Wohnung. Sie ertappt sich selbst beim Aufräumen. Beim Sortieren der CDs. Alphabetisch. Unter Schock. So schildert Sonja A. die langen Stunden, bis sie Jörg Kachelmann anzeigen wird.
    Solche und ähnliche Dinge, Irrationales, machen schwer Misshandelte nicht selten, wissen Fachleute, die viele Vergewaltigungsgeschichten gehört haben. Wahre, falsche, halbrichtige, halberfundene.
    Jörg Kachelmann wird dem Haftrichter erzählen, er sei zuerst nach Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt gefahren, wo er ein Hotel kannte. «Dort war die Parksituation schlecht», wird er sagen. Deshalb habe er einen anderen Ort zum Übernachten gesucht. Spuren hinterlässtKachelmann in jenen frühen Morgenstunden nur elektronisch. Irgendwo unterwegs findet er Zeit, um geschäftliche und private E-Mails zu schreiben. Um 2.50 Uhr hilft er aus der Ferne mit, gegen technische Probleme bei meteorologischen Anlagen anzukämpfen. Niemand bei seinem Wetterdienstleister Meteomedia ist überrascht, wenn er zu jeder Tages- und Nachtzeit Nachrichten vom Chef bekommt. Jörg Kachelmann scheint immer
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