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Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J. F. Dam
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    Die Bergung
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    Acht Tage nach Einbruch des Monsuns liegen die Männer im triefenden Unterholz einer Gruppe von Schierlingstannen. Sie sind nackt und sehen aus wie drei blutleere Gespenster. Eine Woche heftiger Regengüsse hat die Leichen bereits aufgebläht; das quellende Fleisch zerdrückt die Gesichtszüge und hinterlässt bloß Furchen aus Schrecken und Verwunderung, als hätten die Männer nicht glauben können, dass ein allenfalls doch vorhandenes göttliches Gericht so hart mit ihnen verfahren konnte.
    Colonel Vikram Singh und seine Leute von der zweiten Gebirgsdivision des Eastern Command , die eben noch die Talsohle durchkämmt haben, betrachten stumm die Szene. Wolkenschwaden drängen durch das enge Tal. Der Eisgipfel des Kanchanjanghā 1 hebt seinen Kopf von Zeit zu Zeit zwischen ihnen empor; so hoch über den Soldaten des Suchtrupps steht er dann, dass er Vikram Singh als ein weißes, schroffes Gestirn erscheint.
    Die Leichen sind unversehrt. Der Regen hat das Mahl vor den Aasvögeln verborgen, Regen, der hier, in den feuchtesten Regionen der Erde, so dicht fällt, dass kaum noch Luft zum Atmen bleibt, und der den Wald innerhalb von Minuten in eine Agonie aus Wasser taucht, in der die Spinnen verschwinden, die Käfer, Vögel und Marder. Doch der Regen hat aufgehört.
    Auf seinen Befehl ziehen Vikram Singhs Leute die Toten aus dem Schutz der Bäume. Dabei gehen sie äußerst gewissenhaft vor, sie legen Arme und Hände der Leichen zurecht und packen sie an den Füßen. Vergeblich sucht Vikram Singh nach Verletzungen. Dann macht er sich zusammen mit seinen Männern auf den Weg zurück zu der kleinen Lichtung, wo sie sich aus einem Dhruv-Hubschrauber abgeseilt haben. Sie wollen Tragbahren und Leichensäcke herbeischaffen.
    Beim Aufstieg sammeln die Soldaten Kleidung sowie Gepäckstücke auf, die allerorten über den Waldboden verstreut liegen. Und als die Lichtung erreicht ist, fasst der Colonel den riskanten Entschluss, drei seiner Männer auch den schwer zugänglichen oberen Teil des Tals absuchen zu lassen. Zwei weitere Tote soll es geben: Träger aus einem Bergdorf werden vermisst. Vikram Singh will diese, falls gefunden und tot, aber nicht mitnehmen, er will bloß einen glasklaren Bericht schreiben können, der auf keinen Fall die Worte vielleicht und könnte enthält.
    Als seine Leute abgezogen sind und der Colonel wartet, beginnt es leicht zu regnen. Der Berg in Vikram Singhs Rücken ist wieder verschwunden; niemals hätte man jetzt vermutet, dass dort ein solches Ungetüm von fast achttausendsechshundert Metern Höhe und fünfzehn Kilometern Breite lauert.
    Colonel Singh wendet sich den gefundenen Gepäckstücken zu, durchwühlt sie, bis er auf ein Satellitentelefon stößt. Das Telefon haben sie in den letzten Tagen angepeilt. Und als die Soldaten mit dem ersten Toten endlich den steilen Hang heraufkeuchen, berichten sie vom Fund eines vierten Mannes. In einem Gebirgsbach liege er, die Hände in die Uferränder gekrallt.
    Â»Accha« , sagt Vikram Singh, »und bewegt eure Ärsche sofort wieder da runter.« Er hält zwei Finger nach oben. »Regen, ha?«
    Besorgte Funksprüche aus dem Helikopter, der auf einem kleinen Felsplateau gelandet ist, erreichen Singh bald im Fünfminutentakt. In heftigen Monsunschauern will niemand durch diese Berge fliegen. Da ohnehin nur noch ein Träger fehlt, befiehlt der Colonel daher den weiter oben suchenden Soldaten, ihr Vorhaben abzubrechen und sich ebenfalls an der Bergung zu beteiligen. Nachdem er dem Piloten genaue Anweisungen erteilt hat, steigt er selber nochmals hinab zu der Fundstelle, fotografiert sie (die jetzt von Menschen gesäubert ist), und eine halbe Stunde darauf balanciert der Helikopter bereits über der Lichtung, im langsam dichter werdenden Regen; an langen Seilen saugt er die Leichen, die Männer des Suchtrupps sowie den Colonel in seine Eingeweide hinein.
    Der fünfte Tote wird nicht mehr gefunden. Als die Maschine Colonel Singhs in Richtung Siliguri abfliegt, verlässt sie ein Tal im Himalaya, das Felsflanken an einigen Stellen zu einer dschungelüberwachsenen Rinne von bloß fünfzig Metern Breite zusammendrücken. Monatelang werden die bleiernen Regentürme des Nordostmonsuns über ihm stehen; niemand wird diesen Ort besuchen. Seinen Namen kennen nur einige weiter oben lebende
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