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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann
Autoren: Thomas Knellwolf
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Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat und deshalb zu Unrecht als Rechtsbrecher vor Gericht stand. Bedenken Sie aber auch umgekehrt, dass Frau A. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.»
    Jörg Kachelmann verlässt als Erster den Saal 1. Sonja A. sitzt noch da und weint.

Nachwort
    Der Vorhang in der unfreiwilligen Peepshow ist gefallen. Jörg Kachelmann hat das Gericht als freier Mensch, aber gezeichnet verlassen.
    Er ist unschuldig – ohne Wenn und Aber.
    Ein Verfahren wie es in Mannheim stattfand, ruiniert fast jeden Angeklagten – finanziell und psychisch. Ein mutmaßliches Opfer quält es. Die unsäglich lange Prozessdauer von neun Monaten und die penetrante Belästigung durch die Medien machen den Ausnahmefall Kachelmann zu einem Justiz-und Medienskandal, dem das Gericht mit seinem Urteil ein Ende zu setzen versuchte. Jörg Kachelmann und vielleicht auch die Frau, die ihn angezeigt hat, werden Getriebene bleiben. Die anonymen Diffamierungen in Kampfblogs im Internet, in deutscher Sprache in dieser Dimension unbekannt, werden weiter existieren, die Verschwörungsgeschichten nicht vergessen.
    Deutsche Leitmedien, darunter die angesehensten und meistgekauften Zeitungen und Zeitschriften der Republik, begleiteten den Fall vielfach einseitig, manchmal faktenarm, immer meinungsstark und überraschend willfährig. Die Berichterstattung verkam allzu oft zur Selbstdarstellung. Die traditionellen Medien kämpften um die Wahrheit, statt dass sie versuchten, die Realität abzubilden und zu hinterfragen. Aus der Schlammschlacht gingen alle beschmutzt hervor – insbesondere Jörg Kachelmann, mit Promi-Malus, und Sonja A.
    Das Ansehen der Medien und der Justiz hat gelitten. Der Mannheimer Strafverfolgung kann niemand vorwerfen, sie hätte die Wahrheitssuche nicht ernst genommen. Viel eher lässt sich die Kammerdafür kritisieren, dass sie es zu genau nahm. Die Richter ließen sich in dieser medial-juristischen Tragikkomödie vorführen. Vom öffentlichen Hochdruck waren sie überfordert – ebenso wie Staatsanwalt und Verteidigung. Lange Zeit agierte das Gericht umständlich und wenig souverän. Und belastete so die Betroffenen mehr, als es für die Urteilsfindung nötig war.
    Die denkwürdige Justizepisode erregte in der Bundesrepublik Aufsehen wie kaum eine andere. Trotzdem scheint sich kaum jemand in Deutschland zu fragen, ob an einem Rechtssystem etwas faul ist, das einen solchen Monsterprozess nicht nur zulässt, sondern geradezu verlangt. Das juristische Unmittelbarkeitsprinzip, das es so in der Schweiz nicht gibt, macht es notwendig, dass fast jedes Untersuchungsschrittchen vor Gericht nochmals erläutert wird. So treten in der Hauptverhandlung unnütze Zeugen auf und manchmal wird mit dem Verlesen von Akten viel Zeit vertrödelt. Jeder im Gerichtssaal weiß, dass viele dieser Schritte nichts bringen, aber der Vollständigkeit halber wird alles nochmals durchgekaut. Ein Angeklagter muss den amtlich verlangten Korrektheitswahn über sich ergehen lassen, ein mutmaßliches Opfer ebenso.
    Vielleicht liefert der Extremfall Kachelmann Anlass, ein Rechtssystem zu überdenken, das den Anforderungen des Medienzeitalters nicht mehr gewachsen ist. Dann würde aus der Peepshow, die Schaden in so vieler Menschen Leben angerichtet hat, immerhin ein Lehrstück.

Chronologie
    8./9. Februar 2010: Die Nacht von Schwetzingen
    9. Februar 2010: Kachelmann fliegt nach Kanada. Sonja A. zeigt ihn wegen Vergewaltigung an
    20. März 2010: Kachelmann kehrt zurück und wird festgenommen
    22. März 2010: Verteidigung: Vorwürfe sind frei erfunden
    24. März 2010: Kachelmann im Amtsgericht: «Ich bin unschuldig»
    15. Mai 2010: Sonja A. wird der «Brieflüge» überführt
    19. Mai 2010: Staatsanwaltschaft Mannheim erhebt Anklage
    1. Juli 2010: Landgericht lehnt Haftbeschwerde ab
    9. Juli 2010: Landgericht eröffnet das Hauptverfahren
    29. Juli 2010: Nach 132 Tagen U-Haft wird Kachelmann entlassen. Oberlandesgericht Karlsruhe gibt seiner Haftbeschwerde statt
    6. September 2010: Prozessbeginn
    18. Oktober 2010: Erste Vernehmung des mutmaßlichen Opfers
    29. November 2010: Verteidigerwechsel von Birkenstock zu Schwenn
    20. Dezember 2010: Gutachter: Messer ohne eindeutige DNA-Spuren
    1. Februar 2011: Rechtsmediziner Mattern: Fremdverletzungen möglich
    9. Februar 2011: Rechtsmediziner Rothschild und Püschel halten es für naheliegend, dass Sonja A. sich selbst verletzte
    15. Februar 2011: Gericht reist zur Vernehmung
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