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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann
Autoren: Thomas Knellwolf
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Zürich und von Sonja A. Fotografin Jolanda R. hatte ausgesagt, sie habe am 17. Januar 2010 ein «unschönes Zusammentreffen» mit Jörg Kachelmann gehabt. Sonja A. hatte ihrem Noch-Partner am 8. Februar um etwa 22 Uhr das letzte Mal geschrieben. Auf Jörg Kachelmanns Handy fehlen aber nicht nur ihre Nachrichten, sondern ausgerechnet alle SMS-Eingänge aus dem Zeitraum vom 16. Januar 2010 bis zum 12. Februar 2010. Hunderte älterer und neuerer SMS – auch solche verflossener Liebschaften – fanden sich jedoch im Speicher. Die Staatsanwaltschaft vermutet deshalb einen «Versuch des Angeklagten, gezielt Spuren zu beseitigen». «Dieses Argument», entgegnet Andrea Combé, «ist völlig verfehlt.» Eine Löschung des SMS-Speichers sei «von Zeit zu Zeit notwendig, weil sonst keine SMS mehr empfangen werden können».
    Ebenso wie Jolanda R. haben laut Staatsanwaltschaft weitere Zeuginnen von «Grenzüberschreitungen» Jörg Kachelmanns berichtet: Försterin Jana B., die junge Saarländerin Eliane V. und die Berliner Zeugin erzählten von Erfahrungen mit dem Angeklagten, die «weder abgesprochen noch im Einvernehmen» geschehen seien. «Die vier herausgepickten Zeuginnen haben ihre Aussagen von Mal zu Mal dramatischer dargestellt», erwidert Andrea Combé. Sie seien «kein Beleg für sexuelle Grenzüberschreitungen – und selbst wenn es die gab, verbietet sich ein Rückschluss auf sein Verhalten in dieser Nacht». Die Verteidigungtritt der Interpretation der Staatsanwaltschaft entgegen, Jörg Kachelmann sei «eine von Macht und Dominanz geprägte Persönlichkeit» und ein Mensch, der bei Kontrollverlust in eine Krise stürze.
    Besondere Bedeutung misst Staatsanwalt Oltrogge dem «warum. doc» zu. Die «tagebuchähnliche Datei» von Sonja A. stelle kaum eine Gedankenstütze einer Falschbeschuldigerin dar, denn die Verfasserin beschreibe offen ihre Feindseligkeit und wünsche sich Rache und Vergeltung. Für die Verteidigung offenbaren solche Stellen gerade, dass Sonja A. von «Rache und Hass» getrieben ist.
    «Ich will mein Leben zurück», zitiert Oltrogge aus dem «warum. doc», «oder sterben.» Jörg Kachelmann blickt mitleidig zu Sonja A. Sie stützt nun ihren Kopf mit der rechten Hand und bedeckt ihr Gesicht vor ihrem vermeintlichen Peiniger.
    «Mit dieser Zeugin», steht für Combé fest, «kann ein Tatnachweis nicht geführt werden.»
    Um 15.34 Uhr am 18. Mai 2011 resümiert Oberstaatsanwalt Oskar Gattner: «Die gebotene Gesamtschau lässt keine vernünftigen Zweifel zu, dass sich der Angeklagte des Verbrechens der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht hat.»
    Pflichtverteidigerin Andrea Combé kommt zu einem ganz anderen Schluss: «Die Beweisaufnahme hat ergeben», dass Sonja A. «Jörg Kachelmann bewusst falsch belastet hat». Im Gerichtssaal klatschen einzelne Zuschauer. Der Vorsitzende Richter Micheal Seidling unterbindet den Applaus. Beisitzer Joachim Bock sagt: «Wir sind hier nicht im Theater.» Ein Zuschauer entgegnet leise: «Doch.»
    Das Strafmaß für schwere Vergewaltigung liegt bei fünf bis 15 Jahren. Doch die Anklagebehörde hält es für angebracht, Jörg Kachelmann eine Art «Medienrabatt» zu gewähren: Wegen seiner Prominenz seider Wettermoderator in Untersuchungshaft, so führt Staatsanwalt Oltrogge aus, durch die Medien belästigt und diffamiert worden und er habe sein Privatleben verloren. Deshalb sei von einem «minderschweren Fall» und von einem Strafrahmen von einem bis zehn Jahren auszugehen. «Die Staatsanwaltschaft», sagt Lars-Torben Oltrogge und Jörg Kachelmann starrt in sein iPad, «hält vier Jahre und drei Monate Haft für tat-und schuldangemessen.»
    Wahlverteidiger Johann Schwenn beantragt, Jörg Kachelmann freizusprechen und den Wettermoderator und dessen Gutachter zu entschädigen.
    Richter Seidling fragt den Angeklagten, ob er das letzte Wort wünsche. Jörg Kachelmann antwortet: «Nein, danke.» Es klingt, als hätte freundlich ein Tasse Kaffee abgelehnt.
    Der 31. Mai 2011 ist ein schwüler Tag. «Eine Kaltfront ist unterwegs», wird Jörg Kachelmann bald twittern. Um 9.06 Uhr, verkündet Michael Seidling «Im Namen des Volkes»: «Der Angeklagte Jörg Andreas Kachelmann wird freigesprochen.» Sonja A. senkt den Kopf. Jörg Kachelmann zeigt keine Regung. Zuschauer jubeln, sie jauchzen. Richter Seidling droht, den Saal räumen zu lassen.
    «Der heutige Freispruch», betont er, nachdem Ruhe eingekehrt ist,
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