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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann
Autoren: Thomas Knellwolf
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Mannheim ist die Sitzordnung umgekehrt.
    Alle sind angereist, um eine Frau zu hören, über die so viele Geschichten kursieren. Die Schweizer Zeugin habe verlangt, dass Jörg Kachelmann während ihrer Aussage eine dunkle Sonnenbrille aufsetzen müsse, damit sie seinen eisigen Blicken nicht ausgesetzt sei. So zumindest steht es am nächsten Tag in einer Zeitung aus Berlin. Die Staatsanwaltschaft Zürich, die die Befragung leitet, habe den Antrag gutgeheißen. Auch das schreibt das Blatt aus der Hauptstadt. Das Dumme daran: Es stimmt nicht. Denn so absurd geht es nicht einmal in diesem Kachelmann-Prozess zu. Die Berliner Redaktion hat einen Jux einer Internet-Satireseite ernst genommen und ungeprüft übernommen. Bereits einmal hatte eine Kölner Zeitung eine ScherzMeldung zu Kachelmann als Wahrheit weitervermittelt: Eines der «Lausemädchen» plane zusammen mit einem Boulevardjournalisten, in Buchform über ihre Kamasutra-Erlebnisse mit dem Angeklagten auszupacken.
    Am 15. Februar 2011 geht es in Zürich um alles andere als asiatische Liebeskunst. Es geht um etwas, was sich 13 Monate zuvor auf jenem Hügel der Stadt ereignet haben soll, auf dem die Zeugin Jolanda R. lebt. Zum angeblichen Vorfall in ihrer Wohnung soll sie heute hinter verschlossener Tür befragt werden. Jolanda R. ist bereits, ohne Sonnenbrille, durch die Tiefgarage in das Gebäude spaziert. Auf dem Gang, gegen den sie sich lange, aber erfolglos gewehrt hat, begleitet sie Valentin Landmann, ein stadtbekannter ZürcherAnwalt, der gerne auch Personen aus dem Sexmilieu verteidigt. Am linken kleinen Finger trägt er einen Ring mit einem Totenkopf. Seine Mandantin hat in die Kameras gestrahlt an diesem grauen Tag. Sie kennt die Situation aus umgekehrter Perspektive: Als Fotografin muss sie auch manchmal Menschen auf ihrem Gang zur Justiz – wie es im Reporterjargon heißt – «abschießen».
    Auf die Zürcher Zeugin waren die Ermittler spät gestoßen, weil sie es monatelang nicht schafften, eines der Handys des Angeklagten zu knacken. Jörg Kachelmann rückte den Pin-Code nicht heraus. «Vergessen» habe er ihn, hatte er nach seiner Verhaftung seinen früheren Anwalt ausrichten lassen.
    Erst im Herbst 2010, als der Prozess schon lief, gelang es dem Kriminalistischen Institut des Bundeskriminalamts, wenigstens Teile des Speichers des Nokia E51 zu ergründen. Im gelöschten Bereich stießen die BKA-Tüftler auf Kachelmanns SMS-Austausch mit Frauen. Staatsanwalt Oltrogge hielt es nicht für notwendig, diese Kontakte alle zu überprüfen. Oberstaatsanwalt Oskar Gattner aber machte sich an die Arbeit. Am 28. September 2010 wählte er eine Schweizer Handynummer. Es meldete sich Jolanda R.
    Nach dem Telefongespräch geschah fast zwei Monate lang nichts. Dann beantragte Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge, Jolanda R. als Zeugin nach Mannheim zu laden. Denn, so hielt er fest, «bei einem intimen Zusammensein» des Angeklagten und der Schweizerin sei es «zu gewalttätigen Übergriffen gekommen». In der Strafakte fand sich aber kein Vermerk, worüber Oberstaatsanwalt Gattner mit Jolanda R. gesprochen hatte. Erst eine Woche nach Oltrogges Antrag notierte sein Vorgesetzter, was ihm die Fotografin gesagt haben soll. Jörg Kachelmann sei am 17. Januar 2010 ihr gegenüber «für kurze Zeit ein anderer Mensch geworden», er sei «so anders geworden», «sein Blick habe gewechselt» und sie habe «Angst empfunden, wie sie sie vorher noch nie gehabt habe». Nur, so macht die Verteidigung publik, stimme es nicht damit überein, was die Zeugin in Zürich erzählt hat. Rechtsanwalt Schwenn sieht im ganzen Vorgang mit der Schweizer Zeugin auch ein Paradebeispiel dafür,wie die Staatsanwaltschaft mit ausgewählten Medien zusammenarbeitet.
    Am 8. Dezember 2010 hätte Jolanda R. in Mannheim aussagen sollen. Wenige Tage davor hatte sie sich entschieden, nicht zu kommen. Unmittelbar nach ihrer Absage erschien im «Focus» ein Bericht über die bislang unbekannte «neue Zeugin gegen Kachelmann». Im Text nahm das mitanklagende Nachrichtenmagazin zuerst eine Standortbestimmung vor. Es schrieb, dass die Nebenklägerin Sonja A. «in ihrer mehrtägigen Aussage vor Gericht einen ziemlich überzeugenden Eindruck hinterlassen» habe und «dass es dem Juristentross des Angeklagten partout nicht gelingen will, die objektive Spurenlage (Messer, Verletzungen etc.) zu entwerten». Nun, wusste «Focus», sei im Umfeld des Angeklagten Panik ausgebrochen. «Wenn die Geschichte von Jolanda R.
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