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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann
Autoren: Thomas Knellwolf
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über das Verfahren, sondern fürs Erste über das Wetter.
    Mattern räumt ein, dass auch andere Werkzeuge für eine solche Halsverletzung in Frage kommen: Weniger ein Fingernagel, wie Brinkmann findet, aber eine Feile oder vielleicht eine Kordel, wie andere Rechtsmediziner vermuten.
    Um Weihnachten 2010 herum bestreicht auch Rainer Mattern seine Kniescheiben mit blauer Fingerfarbe. Seine Ehefrau liegt bereit.Er drückt ihr mit den bemalten Knien die Schenkel auseinander. Die blauen Abdrücke, die so an ihren Beinen entstehen, schauen – so findet Mattern – den Hämatomen von Sonja A. «entfernt ähnlich».
    Mehrfach stößt der 65-Jährige seiner Gattin mit seinen Knien zwischen die aneinander gepressten Oberschenkel. Bis es schmerzt und er aufhören muss. Im Gericht wird der Sachverständige mit Scheitel und schnatternder Stimme erklären: «Ich durfte nicht so heftig drücken, wie es vielleicht notwendig gewesen wäre.» Es entstehen keine Blutunterlaufungen.
    Jörg Kachelmann verschickt Twitter-Nachrichten am laufenden Meter. Am Tag vor Matterns Auftritt als Gutachter ging seine 44. Kurzbotschaft innerhalb einer Woche raus. «Nicht wundern, wenn es bei der Wetterlage in der Nähe von Industriegebieten aus dem Hochnebel schneit», hat er doziert. «Das ist Industrieschnee, sehr örtlich.»
    «Ich kann weder nachweisen, dass der Angeklagte die Verletzungen bei der Nebenklägerin beigebracht hat», so lautet Matterns Fazit aus eineinhalb Tagen Befragung, «noch kann ich nachweisen, dass sie sich die Verletzungen selbst beigebracht hat.» In Mannheim fällt Industrieschnee.
    Am nächsten Prozesstag gibt es, wieder einmal, großes Theater. Als ginge es nicht um ein menschliches und strafrechtliches Drama, bekommt das Publikum im Saal 1 des Mannheimer Landgerichts eine Tragikkomödie geboten. Die weibliche Hauptrolle übernimmt Alice Schwarzer. Das Gericht verweist sie des Saales. Schwarzer erhebt sich von ihrem Pressesitz, vor dem der Aufkleber «Bild TV» klebt. Sie trägt einen Designer-Pulli aus Paris mit – darauf wird sie Wert legen – «asymmetrischem Lochmuster», sie lächelt und schüttelt gleichzeitig den Kopf, sagt «Ui» und «Donnerwetter» und «Das nimmt ja Formen an» und zieht von dannen. Der Vorsitzende Richter hat die Kachelmann-Kolumnistin rausgeschickt, weil Verteidiger Schwenn Schwarzer als Zeugin benannt hat.
    Und so muss Alice Schwarzer, die ohnehin eher selten im Saal anwesend ist, vorerst draußen bleiben. Vor Prozessauftakt hatte sieden Angeklagten belehrt: «Auch nette Männer vergewaltigen manchmal, Kollege Kachelmann.» Von dieser Maxime scheint sie sich leiten zu lassen in ihren wöchentlichen «Bild»-Meinungstexten. Vor Gericht soll sie aber nicht davon erzählen, sondern von ihren Kontakten zu Sonja A. und zum Therapeuten Günter Seidler. Johann Schwenn, so meint ein «Bild»-Jurist dazu, «fantasiert ein MedienKomplott herbei.»
    All das trägt wenig zur Klärung dessen bei, was am frühen 9. Februar 2010 in der Schwetzinger Dachwohnung geschah. Aber die Zuschauerreihen sind gut besetzt, als Alice Schwarzer exakt ein Jahr danach, am 9. Februar 2010, in den Zeugenstand tritt. Die meistangeguckte Zeitung im deutschen Sprachraum wirbt an diesem Tag auf der Titelseite mit der Schlagzeile «So sexy war BILD noch nie». Beigelegt ist ein zweiseitiges Poster mit Barbusigen.
    Die bekannteste Frauenrechtlerin im deutschen Sprachraum schaut Jörg Kachelmann lange und ernst an.
    Um 15.12 Uhr fragt der Vorsitzende Richter: «Was machen Sie beruflich?»
    Es kommt die erwartete Antwort: «Journalistin.» Alter? «68.»
    «Verwandt oder verschwägert mit dem Angeklagten?»
    «Mit wem?»
    «Mit dem Angeklagten?»
    «Nein.»
    Dann beruft sich Schwarzer auf ihr Recht als Journalistin, die Aussage zu verweigern. Nach drei Minuten wird sie als Zeugin entlassen. In ihrer nächsten Kolumne hat sie Exklusivinformationen: «Im Zeugen-Raum 18 gibt es Kuscheltiere.»
    Die Kammer kann sich wieder wesentlicheren Dingen zuwenden. «Es ist sicher nicht verkehrt, dass hier noch weitere Rechtsmediziner sitzen», hat schon am Morgen Rainer Mattern gesagt. Unmittelbar vor und nach Alice Schwarzers Kurzauftritt sind seine Professorenkollegen an der Reihe. Markus Rothschild aus Köln und Klaus Püschel aus Hamburg, beide von der Verteidigung eingebracht, betonen vor allem eines: Es kann nicht so gewesen sein, wie Sonja A. es erzählt.
    Die Hauptbelastungszeugin hat sich stets nur vage erinnern können oder wollen,
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