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Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)

Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)

Titel: Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
Autoren: Martin Hyun
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KOREANISCHE ELTERN UND AUF DER STRASSE NACH OSTEN
    B uddhisten streben nach Erleuchtung – und koreanische Eltern nach dem Zusammenleben mit ihren Kindern. Nur gegen ihren Willen lassen sie die Kinder aus dem Hause ausziehen. Die alte Heimat ist schon geteilt, dann sollte zumindest die Familie vereint bleiben. Es gibt genau zwei Gründe, sich vom Elternhaus abzunabeln, und das sind Studium und Beruf. Allerdings nur unter der Bedingung, dass der Studien- oder Arbeitsplatz weit weg vom elterlichen Hause liegt und auch mit einem strammen Fußmarsch nicht zu bewältigen ist. Erfüllt man diese Kriterien, dann steht der Flucht nichts mehr im Wege. Vor kurzem hat meine Bekannte Sae-hee ihr Pharmaziestudium abgeschlossen. Kurz darauf nahm sie einen Job in der Schweiz an. Über Facebook verkündete sie: »Ich liebe die Schweiz, die Schweizer, ihre Schokolade – und mein Schweizer Leben in Unabhängigkeit! Freiheit ist Unerreichbarkeit!«
    Andere Gründe, die keinen direkten Bezug zu Bildung und beruflichem Fortkommen haben, gelten als niedere Beweggründe. Volljährigkeit hat in einem koreanischen Elternhaus nichts zu bedeuten. Koreanische Eltern sind Gesetzlose, die nur nach ihren eigenen Vorschriften und Werten handeln, völlig uninspiriert vom Geiste unserer Verfassung. Widersetzt man sich den moralischen Standards koreanischer Eltern, die im Geiste immer noch im alten Korea leben, kann dies zu einem lebenslänglichen Ausschluss aus der Familie führen. Hinter der lächelnden Fassade koreanischer Eltern steckt eine kalte und erbarmungslose Seite.
    Wie es ist, in die Ungnade koreanischer Eltern zu fallen, davon kann Kim Jong-ils Sohn, Jong-nam, ein Lied singen. Mit einem gefälschten Pass versuchte er, nach Tokio einzureisen, um sich in Disneyland ein wenig vom tristen nordkoreanischen Alltag zu erholen. Sein heißer Tango mit der Freiheit kostete ihn die Thronfolge. Seitdem ist Jong-nam bei seinem Vater, dem »geliebten Führer«, in Ungnade gefallen, erhält keinerlei Alimente mehr, und der Zugang zu jeglichen Luxusgütern wurde ihm gestrichen. Seine tägliche Ration Reis, die ihm vorher noch von Staatsbediensteten auf einem goldenen Teller serviert wurde, muss er sich im Hotel Papa nun hart erarbeiten. Seit dem Disneyland-Vorfall hat man von Jong-nam nicht mehr viel gehört. Geheimdienste munkeln, er habe eine Teilzeitstelle als Mickymaus angenommen.
    Vor allem koreanische Eltern, die in Deutschland leben, sind mit allen Wassern gewaschen. Das Leben in beiden Ländern hat sie mit einer großartigen Intelligenz ausgestattet. Der unscheinbare Eindruck vieler koreanischer Eltern trügt. Sie sind schlauer, als manch einem lieb sein kann. Wie ein Garri Kasparow denken sie stets in zehn Schachzügen voraus. Wenn wir als Kinder trotzig waren, keine Lust zum Lernen verspürten und dementsprechend den Anweisungen der Eltern nicht Folge leisteten, sagte Vater auf Koreanisch: »Dann zieh aus meinem Haus aus und leb auf der Straße!« Vater wusste genau, dass seine Drohung nie das Licht des Tages erblicken würde. Wo sollten wir auch hin? Schließlich wäre der Bahnhof kein guter Tausch mit dem elterlichen Hause gewesen, und die Obdachlosen, die dort herumlungerten, waren nicht gerade die besten Botschafter, um solch einem Leben in grenzenloser Freiheit nachzueifern.
    Später stellte sich heraus, dass dieser Satz nicht nur meine Kindheit geprägt hatte, sondern bei fast allen meiner deutsch-koreanischen Freunde angewandt wurde. Mich wundert es nicht, dass sich so viele koreanischstämmige Deutsche nach ihrem Abitur für ein Jurastudium entscheiden. Es ist schon gut, wenn man seine Rechte kennt. Meinen Geschwistern und mir waren unsere Rechte nicht geläufig. Dieses Wissen eigneten wir uns erst sehr spät an. Aus Unwissen blieben wir treu ergeben in Vaters Reich, in dem Befehl und Gehorsam die tragende Säule für ein harmonisches Leben miteinander bildeten. Im Tausch dafür bekamen wir Obdach, Kleidung, frische Wäsche, gefüllte Kühlschränke und eine fürstliche koreanische Verpflegung aus Mutters Küche. Auch gewährte uns Vater einen monatlichen Wehrsold, wobei er es sich nicht nehmen ließ, unsere Reaktionsschnelligkeit und unseren Gehorsam zu testen. Wenn Vater uns zu sich rief, dann mussten wir innerhalb von fünf Sekunden in einer Reihe still und stramm vor ihm stehen, ansonsten schickte uns Vater in die Zimmer zurück und ließ diesen Vorgang wiederholen, bis es uns gelang. Unfairerweise übersprang Vater beim Zählen
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