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Bernstein Verschwörung

Bernstein Verschwörung

Titel: Bernstein Verschwörung
Autoren: Andreas Schmidt
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    Prolog
    Wuppertal im Jahr
1944, kurz nach Mitternacht
    Still lag die
zerstörte Stadt da. Ein Leichentuch hatte sich über
Barmen gesenkt, als im letzten Jahr die Flugzeuge gekommen waren.
Erst war es ein leises, klirrendes Geräusch gewesen, das vom
Gleiskörper ausging. Fast so, als gebe es etwas zu verbergen,
schob sich eine dicke Wolke vor den Mond, der die Bahnanlage bis
vor Kurzem in ein kaltes Licht gehüllt hatte. Die Umgebung
wirkte karg wie eine Mondlandschaft, die unbeleuchteten
Gebäude im Hintergrund grotesk.
    Der Krieg hatte die
Stadt in die Knie gezwungen; viele Gebäude waren im
Bombenhagel zerstört worden. Menschen waren gestorben, viele
Bewohner flüchteten vor den Angriffen in die hintersten
Gegenden des Bergischen Landes. Ende Mai letzten Jahres hatten
Bomber große Teile der Stadt in einer einzigen Nacht
zerstört; die Aufräumarbeiten kamen nur schleppend voran.
Wie durch ein Wunder waren die Eisenbahnschienen nahezu erhalten
geblieben. Anders sah es da bei der Schwebebahn aus: Durch die
Bomben waren einige Stationen zerstört worden, die
Bahnhöfe Alexanderbrücke und Kluse ausgebrannt. Niemand
wusste, wie es weitergehen sollte. Kein Mensch wagte zu sagen, ob
es jemals wieder eine Schwebebahn geben würde, die ihre Runden
über dem schwarzen Fluss dreht. Man hatte Wuppertal in die
Knie gezwungen und es sich zum Vorteil gemacht, dass es keinerlei
Verteidigung gab, als die Bomber über die Stadt flogen und
ihre tödliche Fracht abwarfen. In dieser Nacht im Mai waren
3.500 Menschen dem Bombenhagel zum Opfer gefallen; Barmen und
Ronsdorf waren um 0.49 Uhr dem Erdboden gleichgemacht worden. Knapp
einen Monat später fand der schwere Luftangriff auf Elberfeld
statt, bei dem es 6.000 Tote gab. Mehr als 60.000 Wohnungen wurden
zerstört, und seitdem bot Wuppertal ein Bild des Schreckens.
Nichts war mehr so wie es mal gewesen war.
    Das
sechstgrößte Ballungsgebiet im Deutschen Reich, bekannt
für seine Textilindustrie, gab es nicht mehr — Wuppertal
lag in Schutt und Asche, und die Menschen, denen nichts geblieben
war als das pure Leben, hatten keinerlei Perspektiven mehr. Doch
ein Mann hatte an seine Heimatstadt gedacht. Er saß im fernen
Königsberg und sorgte dafür, dass es der Stadt auch nach
dem Ende des Krieges gut gehen würde. Aber davon ahnte niemand
etwas. Weder in Königsberg noch im zerbombten Wuppertal.
Dieser Mann, dessen Wurzeln im Bergischen Land lagen, arbeitete an
einer streng geheimen Mission. Dabei war er es, der die Zügel
in der Hand hielt. Nicht der Führer, und auch nicht
Göring. Himmler, der Polizeichef, führte aus, was der
Mann im fernen Königsberg anordnete. Zwangsarbeiter hatten
dafür gesorgt, dass die Schienenstücke, die bei den
Angriffen zerstört worden waren, ersetzt wurden, sodass der
Zug darüber nach Wuppertal rollen konnte. Diese Mission hatte
er von langer Hand vorbereitet und sich dabei einen kleinen Stab
vertrauenswürdiger Mitarbeiter geschaffen. Und so war es
gekommen, dass sich in einer nebeligen Nacht ein Güterzug in
westliche Richtung in Bewegung gesetzt hatte, um heute sein Ziel zu
erreichen. Das rasselnde Geräusch wurde lauter, und die
Schienen lebten plötzlich. Die Nieten ächzten, und die
Bohlen auf dem Gleis knarrten, als würden sie unter der Last
des herannahenden Zuges bersten wollen. Der Boden schien zu beben,
dann näherte sich das schwarze Ungetüm aus Stahl
unaufhaltsam seinem Ziel. Schnaufend kam die Lokomotive zum Stehen.
Schwarz gekleidete Männer sprangen vom Zug und warfen sich ins
Unterholz neben der Bahnstrecke. Sie betätigten einen
versteckten Mechanismus, von dem nur wenige Menschen wussten. In
der dunklen Nacht wirkte das unbeleuchtete Fahrzeug wie ein
Geisterzug.
    Die Schienen
führten geradewegs in einen Berg, so hatte es den Anschein. Es
gab ein mächtiges Stahltor, das von Efeu bewachsen war, um
neugierige Zeitgenossen von einem Besuch abzuhalten. Nun
öffneten sich die eisernen Klappen. Ein Schlund gähnte
dem Zug entgegen. Nachdem die Männer eine Weiche per
Handbetrieb umgelegt hatten, setzte sich der Zug langsam in
Bewegung. Die stählernen Räder quietschten
unnatürlich laut, als sich der Güterzug neben das Gleis
zu bewegen schien. Ein Tor hatte sich geöffnet -
gleißendes Licht drang aus dem Tunnel in die Nacht hinaus.
Der Mann im Führerstand der Lok stellte zufrieden fest, dass
es hier wenigstens elektrischen Strom gab. Sie hatten an alles
gedacht, so musste es sein. Im Schneckentempo manövrierte er
das
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