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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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Skeletten in dem massiven Blitz – dem bones, dem bones, singen die schwarzen Waschzuber-Frauen. Und Schwester Edgar fühlt jetzt auch die langen Nebenschatten, die das ehrfurchterregende Hauptereignis wirft. Wie die sich überschneidenden Systeme daran beteiligt sind, uns auseinanderzureißen, uns unbestimmt, leer und fügsam zurücklassen, weich in unserem inneren Diskurs, willig, uns formen und überwältigen zu lassen – leichte Rückzugsmöglichkeiten, halbe Glaubenssätze.
    Detonation auf Detonation, Bombe auf Bombe, und das sind Wasserstoffbomben, in denen die Kernschmelze erzwungen wird, denk daran, und noch während sie immer wieder auf dem Bildschirm detonieren, spielt sich eine andere Verschmelzung ab. Kein Körperkontakt, bitte, aber dennoch Paarung. Ein Klick, ein Knopfdruck, und die Schwester gesellt sich zu dem anderen Edgar. Ein Gefährte im Zölibat und mehr oder weniger geistesverwandt, aber biologisch ihr Gegenstück, ihre männliche Hälfte, schon seit so vielen Jahren tot. Hat er darauf gewartet, daß dies geschieht? Der Bulldoggenbulle J. Edgar Hoover, der verdorbene Heilige des Gesetzes, endlich im Hyperlink mit Schwester Edgar vereint – nunmehr ein einziger, fluktuierender Impuls, ein Stück kodierte Information.
    Am Ende ist alles verknüpft.
    Schwester und Bruder. Eine Phantasie im Cyberspace und eine Art, die andere Seite zu sehen, und ein Ausgleich der Unterschiede, die weniger mit dem Geschlecht zu tun haben als mit dem Unterschied selbst, jede Behauptung, jeder Konflikt wegprogrammiert.
    Ist Cyberspace ein Ding innerhalb der Welt, oder ist es genau umgekehrt? Was enthält was, und woher willst du das genau wissen?
    Ein Wort erscheint in der Mondmilch des Datenflusses. Du siehst es auf deinem Monitor, es ersetzt die Turmdetonationen und die überirdischen Explosionen, die Zündung der Bomben mit der hohen Sprengkraft, auf Pontons oder an Ballons, es ersetzt die umfassenden Textdarstellungen, die jede Bombe begleiten. Ein einziges seraphisches Wort. Mit einem Klick kannst du das Wort weiter erforschen, seine Ursprünge, seine Entwicklung, seinen frühesten bekannten Gebrauch, seinen Übergang zwischen den Sprachen, du kannst das Wort in Sanskrit, Griechisch, Latein und Arabisch aufrufen, in tausend Sprachen und Dialekten, lebend oder tot, du kannst literarische Zitate auftreiben und dem Wort durch die Tunnel der Unterwelt seiner Urwurzeln folgen.
    Schonen, beruhigen, übereinkommen.
    Und du kannst einen Moment lang aus dem Fenster schauen, abgelenkt von den Geräuschen kleiner Kinder, die in einem Nachbargarten ein selbsterfundenes Spiel spielen, eine Art Kickball vielleicht, und sie sprechen wie du, mit amerikanischer Stimme, oder sie machen Huckepackrennen auf dem unkrautübersäten Rasen, und im wesentlichen hörst du deine Stimme unter dem Glimmerglashimmel, und du betrachtest die Dinge im Raum, außerhalb des Bildschirms, unvernetzt, die faserige Maserung des Schreibtischholzes, die im Licht lebendig wird, das volle, gelebte Wesen der Dinge, den Widerstreit der Dinge, die zu sehen und zu essen sind, den Apfelbutzen auf dem Essenstablett, der sich dunkelbraun verfärbt, und, mit einem Zufallsblick, die dichten Erfahrungseinheiten, die Mönchskerze, die sich in der schrägen Oberfläche des Telefons spiegelt, die in römischen Ziffern angezeigten Stunden und den Glanz des Wachses und die Windung des geflochtenen Dochtes und den abgestoßenen Rand der Tasse, in der deine gelben Bleistifte stehen, alle bis zum Wahnsinn angespitzt, und das Verlebte der schlichtesten Oberfläche, die verschmierte Butter, die auf dem zerkrümelten Brötchen schmilzt, und das Gelb des Gelbs der Bleistifte, und du versuchst dir vorzustellen, wie das Wort auf dem Bildschirm zu einem Phänomen in der Welt wird, all seine Bedeutungen annimmt, sein Gefühl von Heiterkeit und Zufriedenheit irgendwie auf die Straße hinausträgt, sein Flüstern der Versöhnung, ein Wort, das sich immer weiter nach draußen ausdehnt, der Ton der Übereinkunft oder des Abkommens, der Ton der Ruhe, das Gefühl von besänftigendem Schweigen, der Ton des Grußes und Lebewohls, ein Wort, das die durchglühte Hitze eines Gegenstandes in der Mittagssonne in sich trägt, die Behauptung einer verbindenden Berührung, aber es ist nur eine Reihe von Schwingungen auf einem eher stumpfen Bildschirm, und es kann nur eins, es kann dich nachdenklich machen – ein Wort, das eine Sehnsucht in der wunden Wucherung der Stadt verbreitet und hinaus
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