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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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aus dem Leib, und alle feuern sie heftig an.
    Schwester Edgar schaut nicht hin. Sie sieht den ganzen restlichen Tag lang gar nichts, auch am nächsten Tag nicht und nicht in den zwei oder drei Wochen danach. Sie sieht das menschliche Herz, bloßgelegt wie ein Schweinemuskel auf dem Metzgerblock. Sonst sieht sie nichts. Ihr ist, als stürzte sie in eine Krise, sie beginnt es für möglich zu halten, daß jegliche Schöpfung nur ein Klecks leerer Materie ist, der blindlings hier einen Smaragdplaneten bildet, dort einen toten Stern, und dazwischen Zufallsmüll. In ihrem Leben fehlt die Klarheit des großen Entwurfs, es fehlen Autorenschaft und moralische Form, und als Gracie und die Crew Essen in den Sozialbauten verteilen, wartet Edgar im Kleinbus, sie ist die Nonne im Kleinbus, und als Gracie eine Ratte im Rinnstein erschlägt, zuckt Edgar nicht mit der Wimper.
    Es ist keine Frage des Unglaubens. Es gibt eine andere Art des Glaubens, eine zweite Macht, unsicher, mißtrauisch, einen Glauben, quellgespeist aus den Dingen, die wir des Nachts fürchten, und ihr ist, als wäre sie gerade dabei zu unterliegen.
    Tastendruck 1
    Sie schläft auf dem Dach, wenn es nicht zu kalt ist, und dort entdeckt er sie, auf dem Dach eines brettervernagelten, vierstöckigen Hauses mit intakten Feuerleitern. Er schlendert da oben herum, denkt seine Gedanken, ein Mann, der sich unregelmäßig an der Mauer blicken läßt, ein Schleichertyp, mag es nicht, wenn man ihn anschaut, und wenn du nach einem Namen suchst, steht Suche... auf dem Bildschirm. Er trifft auf das schlafende Mädchen, spürt, wie eine vertraute Wut in ihm aufsteigt, und er weiß, er muß etwas tun, sie soll dafür zahlen. So kommt er über sie. Sie versucht zu kämpfen, schreit aber nicht. Er schlägt sie mit den Knöcheln der geballten Faust, Hammerschläge auf den Kopf. Kämpf du nur, Schlampe, kriegst Schläge. Er will sie umdrehen, aufs Gesicht, und ihn ihr reinstecken. Sie kämpft und flüsterschreit mit einer Stimme, die ihn noch wütender macht, nach dem Motto, was glaubt die, wer sie ist, zum Teufel, und auf dem Bildschirm steht Suche ... Er wird sie in jedem Fall schlagen, ob sie kämpft oder nicht, und dabei guckt er weg, Schleichtyp. Keinen Blickkontakt, Fotze. Die letzte Frau, die er angeschaut hat, war seine Mutter. Nachdem er es getan hat, reingerammt und leergespritzt, schlägt er sie ein letztes Mal, heftig, Nutte, und zerrt sie an den Rand, schiebt sie drüber und läßt los. Tot, du Schlampe. Dann kehrt er zu seinen Nachtgedanken zurück. Auf dem Bildschirm steht Suche...
    Dann fangen die Geschichten an, Straße um Straße verbreiten sich die Gerüchte, durch Kirchen und Minimärkte, vielleicht etwas verzerrt, aber nicht zutiefst entstellt – es bleibt klar, daß die Leute über denselben unheimlichen Vorfall reden. Und einige gehen hin und gaffen und erzählen es weiter, stacheln die Hoffnung an, die wächst, wenn Dinge ihre Grenzen überschreiten.
    Sie treffen sich nach der Abenddämmerung an einem windigen Ort zwischen Brückenauffahrten, sieben oder acht Personen, die es von ein oder zwei Leuten erfahren haben, dann sind es dreißig, angezogen von den sieben, dann eine dichte, stumme Menge, die immer größer, aber nicht weniger ehrfürchtig wird, zweihundert Menschen auf einer Verkehrsinsel in der allertiefsten South Bronx eingekeilt, wo die Schnellbahn im Bogen an der Endstation Großmarkt herunterführt und die Eisenbahndepots sich bis zur Meerenge erstrecken, der ganze alte Industriemuskel in seinem trübseligen Elend – die Auffahrtrampen, wo hohes Unkraut sprießt, und die Müllverbrennungsanlage, die giftige Dämpfe aushustet, und die alte Eisenbahnbrücke, die den Harlem River überspannt, einen durchbrochenen Turm an jedem Ende, der womöglich ein wenig im hartnäckigen Wind schwankt.
    Sie kommen und parken ihre Autos, wenn sie welche haben, zu sechst oder siebt in einem Auto, parken schief auf einem hohen Bordstein oder in den Seitenstraßen der Fabriken, und sie klemmen sich auf die Betoninsel zwischen der Schnellbahn und dem löchrigen Boulevard, spüren den Wind kalt hereinwehen und starren über den Strom des üblichen Saus-und-Braus-Verkehrs hinweg zu einer Plakatwand, die in der Düsternis schwebt – zu der Werbetafel an einem Gerüst hoch über dem Flußufer, sie soll die Blicke der übersättigten Pendler in den Zügen anlocken, die pausenlos aus den nördlichen Vorstädten ins Dickicht von Geld und Gier Manhattans fahren.
    Im
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