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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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krachen in die Pfeiler und die Drehstangen, klettern einander auf den Rücken wie Comicfiguren, und was für Trottel müssen sie in den Augen der Leute am Hotdog-Stand auf der anderen Seite der Drehkreuze sein, was für schreckliche Versager – von einer Schlange starren sie herüber, überwiegend Männer, ihre Kiefer zermalmen das schwitzende Fleisch, Fettblasen zerlaufen ihnen auf der Zunge, und der gute Mann am äußersten Ende erstarrt, nur seine Hand produziert weiter automatische Bewegungen, verschmiert Senf mit einem Pinsel.
    Das Geschrei der Jungs prallt von dem dicken Beton ab.
    Cotter meint einen Weg zum rechten Drehkreuz erspäht zu haben. Er wirft alles ab, was er für diesen Sprung nicht braucht. Einige springen gerade, einige wollen es noch, einige müssen zum Friseur, einige haben Freundinnen in flauschigen Pullovern, und die anderen sind im Gedränge gelandet und versuchen, aufzustehen und sich zu verdrücken. Ein paar Stadionpolizisten rumpeln die Rampe herunter. Cotter schüttelt diese Elemente ab, sobald sie auftauchen, schüttelt tausend Informationswellen ab, die auf seine Haut treffen. Sein Blick nimmt allein die Eisenstangen wahr, die von dem Pfeiler abstehen. Er legt an Tempo zu und scheint seine Spillerigkeit zu verlieren, die verstörte Schlappheit aus Hormonen und Nichtdazugehören und all das Verstotterte, das sein Heranwachsen ausmacht. Er ist nichts als ein laufender Junge, eine kaum erkennbare Gestalt von der Straße, aber so wie das Laufen Aufschluß über das Sein gibt, wie ein Läufer sich dem Bewußtsein offenbart, so scheint sich dieser dunkelhäutige Junge der Welt zu öffnen und erlangt durch das Adrenalin von einem Dutzend Laufschritten Redegewandtheit.
    Dann springt er ab und ist in der Luft, er fühlt sich geschmeidig und unzerknittert und irgendwie geschäftsmäßig, als landete er gerade aus Kansas City mit einer Aktentasche voller Bankauszüge. Er hat den Kopf eingezogen, sein linkes Bein überwindet die Stangen. Und einen ausgedehnten und hellwachen und sprunghaften Augenblick lang sieht er haargenau, wo er landen, wohin er wegrennen wird, und obwohl er weiß, daß sie hinter ihm her sein werden, sobald sein Fuß den Boden berührt, obwohl er in den nächsten Stunden in Gefahr schweben wird – stets wachsam nach rechts und links spähend –, erfüllt ihn jetzt weniger Angst.
    Er kommt schwerelos auf und geht leichtfüßig an dem Kartenabreißer vorbei, der noch nach seiner heruntergefallenen Mütze tastet, und er weiß mit absoluter Sicherheit – weiß es endgültig, so tief man etwas nur wissen kann, er spürt, wie das Wissen in seinem Läuferherzen hämmert –, daß er uneinholbar ist.
    Da kommt ein Klotz von der Stadtpolizei mit Knarre, Handschellen, Taschenlampe und Schlagstock, alles baumelt an seinem Gürtel, in der Tasche steckt ein fest zusammengerollter Strafzettelblock. Cotter täuscht an, daß der andere fast in die Knie geht, und die Hotdogfresser beugen sich vor, um den Jungen zu sehen, der sanft beschleunigend davonzischt und dem Polizisten mit wedelndem Finger einen kleinen Abschiedsgruß schickt.
    Mit so etwas überrascht er sich selber immer wieder, etwas Angeberischem, beflügelt von einer unerwarteten Laune.
    Er rennt eine überdachte Rampe hoch und in ein Gefüge aus Trägern und Pfeilern und flutendem Licht hinein. Er hört die lauter werdenden letzten Akkorde der Nationalhymne und sieht das große offene Hufeisen der Haupttribüne und das Gras, ein Anblick, der ihm jedesmal mitzuteilen scheint, daß er aus seinem Leben hinausgetreten ist – der glatte Schimmer, der sich in Schwüngen und Kurven von der geharkten Erde des Innenfeldes nach außen zu der hohen grünen Umzäunung zieht. Erregend, wenn etwas so offen daliegt. Er läuft nun sehr viel langsamer und reckt den Hals, um die Sitzreihen zu mustern, sucht nach einer unauffälligen Lücke hinter einem Pfeiler. Er biegt in einen Gang von Block 35 ab, taucht ein in Hitze und Geruch der gedrängten Fans, in den Rauch, der unter der zweiten Tribüne hängt, er hört das Reden, dringt ein in das tiefe Summen, er hört die Aufwärmwürfe in den Fängerhandschuh knallen, eine Serie von Knallern, der ein Kometenschweif von Nebengeräuschen folgt.
    Dann verlierst du ihn in der Menge.
    In der Radiokabine ist von der Menge die Rede. Sieht nach fünfunddreißigtausend aus, und wie willst du das feststellen. Man denke nur an die bewegte Geschichte jeder Mannschaft und den Glauben und die Leidenschaft der
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