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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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gekommen ist – daß dieser Knabe Eddie Gaedel heißt, und wenn sich Gleason an den Namen erinnert, wird er blitzschnell Eddie mit Edgar verknüpfen, und dann wird es Witze über kleine Männer setzen, daß es nur so qualmt, schlimmer als die sprichwörtlich dampfende Kacke. Gleason hat mit Beschimpfungssketchen sein Debüt gemacht und nie mehr damit aufgehört – er macht's umsonst und aus Spaß, und zerstörte Existenzen pflastern seinen Weg.
    Toots Shor sagt: »Du willst wohl dein Leben lang ein Dämel bleiben, Gleason. Es steht doch erst eins-null. Die Giants haben in dieser Saison nicht dreizehneinhalb Punkte Rückstand aufgeholt, um am letzten Tag alles zu vergeigen. Das ist das Jahr der Wunder. Keiner hat Worte dafür, was dieses Jahr passiert ist.«
    Schwartenfratze, Schlachterpranken. Ein Blick auf Toots, und man sieht den Veteranen aus Prohibitionszeiten, massiger Körper, zurückgestriegeltes Haar und Schlitzaugen, die ruckzuck ein Warnsignal aussenden können. Ein ehemaliger Rausschmeißer, der harmlose Leute aus seinem Club wirft, wenn er einen gehoben hat.
    Er sagt: »Mays ist der Mann.«
    Und Frank sagt: »Heute ist Willies Tag. Überfällig, daß der heute loslegt. Hat mir Leo am Telefon gesagt.«
    Gleason mimt recht passabel einen zugeknöpften Tommie: »Du willst mir doch nicht im Ernst nahebringen, daß dieser Knabe, der sich gerade ans Wicket begibt, irgend etwas Bemerkenswertes zustande bringen wird.«
    Edgar, der die Engländer haßt, wirft sich lachend vornüber, selbst als Jackie atemlos von seinem Hot Dog abbeißt und zu husten und zu würgen beginnt, Fitzelchen von Fleisch und Brot in die Landschaft prustet, Klümpchen und Krümelchen, lauter winzige Spitballs.
    Dabei sind es die unsichtbaren Formen des Lebens, an denen Edgar am meisten verzweifelt, und er wendet sich von Gleason ab und hält die Luft an. Er möchte am liebsten in die nächste Toilette rennen, einen zinkverkleideten Raum mit einem ovalen Stück unberührter Seife, einer Kaskade heißen Wassers und einem flauschigen Handtuch, das kein Mensch vor ihm je benutzt hat. Natürlich gibt es so etwas nicht in der Nähe. Bloß noch mehr Bazillen, ein alles durchdringendes Umfeld von pathogenen Keimen, Mikroben, schwebenden Kolonien von Spirochäten, die miteinander verschmelzen und sich wieder trennen und sich ausdehnen und umschlängeln und verschlingen, ganze Zugladungen voll Masse, die von den Leuten herausgerotzt wird, tödlicher Urschleim.
    Die Menge, der stetige Lärm, das Atmen und Brausen, ab und zu ein Baßgebrumm, das Gefühl, zum selben Geschlecht zu gehören, während sie gemeinsam das Spiel erleben, wenn ein Mann sich am Handgelenk kratzt oder eine Reihe von Schimpfwörtern absondert. Und der plätschernde Applaus, der schnell erstirbt und nie genug ist. Sie warten darauf, vom Klang der Schlachtengesänge und des rhythmischen Klatschens davongetragen zu werden, von den vorgegebenen Formen und Wiederholungen. Das ist ihre Macht, und sie heben sie sich für den richtigen Augenblick auf. So kommt nämlich etwas in Gang, das Spiel gestaltet sich anders und läßt sie mit einem Satz aufspringen, auffliegen in einem befreienden Donnerhall, der den ganzen Laden zum Wahnsinn treibt.
    Und Sinatra: »Jack, ich hatte dir doch gesagt, du sollst im Wagen bleiben, bis du aufgegessen hast.«
    Mays holt mit mäßigem Schwung aus, trifft den Ball aber von unten und schickt nur einen routinemäßigen Flugball in den tiefhängenden Oktobertag. Der Laut, als der Eschenholzschläger auf den Ball trifft, erreicht Cotter Martin auf der linken Außenfeldtribüne, wo er sich hingesetzt hat, die knochigen Schultern gekrümmt. Er beobachtet Willie, nicht den Ball, und sieht, wie er quasi achselzuckend um die First Base läuft, dann seinen Handschuh vom Rasen aufhebt und wieder zu seiner Position trabt.
    Die Bogenlampen werden eingeschaltet, was Cotter überrascht, plötzlich fühlt er sich anders, empfindet seinen Streich noch lebhafter, die aufblitzende Frische, es zu tun und nicht erwischt zu werden. Der Tag ist jetzt anders, ernsthaft und bedroht, regengehetzt, und er betrachtet Mays auf der zentralen Außenfeldposition, ein Bantamgewicht in all dem weiten Raum, eindeutig Kindergröße, und er fragt sich, wie der Kerl seine Würfe hinkriegt, mit solcher Kraft wirbelt und schleudert. Er schaut sich das Spielfeld gern im Scheinwerferlicht an, auch wenn er Regen befürchten muß, auch wenn es erst Nachmittag ist und der Gesamteffekt nicht
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