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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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Fans und wie diese Kräfte überall in der Stadt ineinander verflochten sind, man denke nur an das Spiel selbst, auf Leben und Tod, das dritte von drei Play-off-Spielen, man braucht nur die Namen Giants und Dodgers zu sagen, um sich klarzumachen, wie unverhohlen die Spieler einander hassen, man erinnere sich daran, was für ein Jahr das letzten Endes geworden ist, mit dem Endspurt um die Meisterschaft, der die Stadt im Würgegriff der Verzückung hält, jenem Erschaudern, einer Mischung aus Genuß und Angst und Spannung, und dann denke man an die Blutstreue, so reden sie in der Kabine – die Liebe zur Mannschaft, die sich quer durch die Stadtbezirke zieht, durch die schmucken Vorstädte und nach draußen über die endlosen Apfelfelder bis in den rauhen Norden, wie soll man da zwanzigtausend leere Plätze erklären?
    Der Tontechniker sagt: »Den ganzen Tag sieht es nach Regen aus. Das schlägt auf die Stimmung. Die Leute sagen, scheiß drauf.«
    Der Sendeleiter hängt eine Decke in die Kabine, um seine Crew von den Burschen zu trennen, die gerade von KMOX aus Saint Louis gekommen sind. Müssen sie eben zusammenrücken, kein Platz, sie woanders unterzubringen.
    Er sagt zu dem Techniker: »Vergiß nicht, es hat keinen Vorverkauf gegeben.«
    Und der Techniker sagt: »Außerdem haben die Giants gestern haushoch verloren, das ist ein echtes Problem, denn jede schlimme Niederlage stürzt die Fans in tiefe Depressionen. Glaub mir, ich kenne das von da, wo ich wohne. Es ist niederschmetternd für die Leute. Als würden sie zu Zehntausenden sterben.«
    Russ Hodges, der Kommentator der Spiele für WMCA, ist die Stimme der Giants – Russ hat einen überanstrengten Kehlkopf und eine fette Erkältung in den Knochen, und er sollte sich eigentlich keine Zigarette anstecken, aber er tut es trotzdem: »Das ist ja alles gut und schön, aber ich glaube nicht, daß es eine logische Erklärung gibt. Wenn du es mit der Masse zu tun hast, ist nichts vorhersehbar.«
    Russ reckt jetzt energisch das Kinn, aber er hat auch etwas von einem unkomplizierten Jungen an sich, mit seinen Augen, dem Lächeln und dem Pottschnitt und seinem formlosen Anzug, der fast jedem gehören könnte. Geht das, Spiele zu kommentieren, eins nach dem anderen, praktisch jeden Tag, einen ganzen Sommer lang, und nicht in irgendeiner Version der Vergangenheit hängenzubleiben?
    Er schaut hinaus aufs Spielfeld mit den spitzen Ecken und der mehr als ausgleichenden Weiträumigkeit des Außenfeldes. Die große viereckige Longines-Uhr, die aus dem Clubhaus emporragt. Farbtupfer überall, freskohaft die Hüte und Gesichter und die grüne Haupttribüne und die braungelben Wege zwischen den Bases. Russ schätzt sich glücklich, hier zu sein. Tag der Tage, und er, Russ Hodges, bringt das Spiel, und es läuft in den Polo Grounds – diesen Namen liebt er, ein kostbares Echo von Dingen und Zeiten, bevor das Jahrhundert in den Krieg zog. Er findet, jeder, der hier ist, sollte sich glücklich schätzen, denn etwas Großes steht bevor, heute steigt was. Na gut, vielleicht nur seine Temperatur. Aber er denkt daran, wie sein Vater ihn mal nach Toledo mitnahm, zum Kampf Dempsey gegen Willard, und war das eine große Sache, so viel Ehrfurchtgebietendes, der vierte Juli und dreiundvierzig Grad und eine Menge hemdsärmeliger Männer mit Strohhüten, viele von ihnen hatten unter den Hüten und bis auf die Schultern herab ausgebreitete Taschentücher, als hätten sie sich als Araber verkleidet, und was für eine Tracht Prügel holte sich der dicke Jess in dem weißglühenden Ring ab, wie spritzten ihm Schweiß und Blut vom Gesicht, immer wenn Dempsey zuschlug.
    Wenn du so etwas siehst, ein Ereignis, das zu einer Nachrichtenmeldung wird, dann fühlst du dich als Vehikel eines feierlichen Stückchens Geschichte.
    Im zweiten Inning schlägt Thomson einen Slider in gerader Linie über die Third Base hinweg.
    Lockman schwenkt auf einen Bogen ein, als er zur Second Base rennt, den Blick zum linken Außenfeld gerichtet.
    Pafko nähert sich der Wand, um einen Abpraller anzunehmen.
    Auf beiden linken Tribünen stehen Leute, beugen sich aus den Vorderreihen vor, und einige von ihnen werfen Papier über die Brüstung, zerrissene Spielprotokolle und Fetzen von Streichholzbriefchen, zerknüllte Papierbecher, kleine Servietten aus Wachspapier, die sie zu ihren Hot Dogs bekommen haben, bazillenwimmelnde Kleenextücher, die seit vielen Tagen verfilzt am Grund tiefer Hosentaschen gesteckt haben, und das
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