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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich
Autoren: Niccolò Ammaniti
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1
    Am Abend des achtzehnten Februar zweitausend ging ich früh zu Bett und schlief sofort ein, doch nachts wurde ich wieder wach und konnte keinen Schlaf mehr finden.
    Um zehn nach sechs hatte ich das Federbett bis zum Kinn hochgezogen und atmete mit offenem Mund.
    Das Haus war still. Man hörte nur den Regen, der gegen das Fenster schlug, meine Mutter, die im oberen Stockwerk zwischen Schlafzimmer und Bad hin und her ging, und mein lautes Ein- und Ausatmen.
    Bald würde meine Mutter mich wecken kommen, um mich zu dem Treffen mit den anderen zu bringen.
    Ich knipste meine Zikadenlampe auf dem Nachttisch an. Eine Ecke des Zimmers, wo der mit Anziehsachen vollgestopfte Rucksack, die Daunenjacke, die Tasche mit den Skistiefeln und die Ski lagen, wurde in grünes Licht getaucht.
    Zwischen dreizehn und vierzehn war ich plötzlich aufgeschossen, als hätte man mich gedüngt, und überragte nun meine Altersgenossen. Meine Mutter sagte, zwei Zugpferde hätten mich gestreckt. Ich verbrachte eine Menge Zeit vor dem Spiegel, um meine blasse, sommersprossige Haut und die Härchen auf den Beinen zu betrachten. Mein Haar war eine kastanienbraune Matte, aus der die Ohren herausstanden. Die Pubertät hatte meine Gesichtszüge verändert, und zwischen meinen grünen Augen saß eine imposante Nase.
    Ich stand auf und schob meine Hand in die Tasche des Rucksacks, der neben der Tür stand.
    »Das Messer ist da. Die Taschenlampe auch. Alles da«, sagte ich mit leiser Stimme.
    Die Schritte meiner Mutter auf dem Gang. Sie trug bestimmt die blauen Schuhe mit den hohen Absätzen.
    Ich sprang zurück ins Bett, machte das Licht aus und stellte mich schlafend.
    »Lorenzo, aufwachen. Es ist spät.«
    Ich hob den Kopf vom Kissen und rieb mir die Augen.
    Meine Mutter zog den Rollladen hoch. »Was für ein scheußlicher Tag … Hoffen wir, dass es in Cortina besser ist.«
    Im fahlen Morgenlicht waren die Umrisse ihrer schlanken Figur zu sehen. Sie hatte den Rock und die graue Jacke angezogen, die sie immer trug, wenn sie etwas Wichtiges vorhatte. Den Pullover mit dem runden Ausschnitt. Die Perlen. Und die blauen Schuhe mit den hohen Absätzen.
    »Guten Morgen«, sagte ich gähnend, als wäre ich gerade wach geworden.
    Sie setzte sich auf die Bettkante. »Hast du gut geschlafen, Schatz?«
    »Ja.«
    »Ich mache dir Frühstück … In der Zeit kannst du dich waschen.«
    »Nihal?«
    Sie fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. »Schläft um diese Zeit noch. Hat er dir die gebügelten T-Shirts gegeben?«
    Ich bejahte mit einem Nicken.
    »Dann steh auf, los.«
    Ich hätte es gern getan, doch auf meiner Brust lag eine Last, die mich erdrückte.
    »Was ist los?«
    Ich nahm ihre Hand. »Hast du mich lieb?«
    Sie lächelte. »Natürlich habe ich dich lieb.« Sie stand auf, schaute sich im Spiegel neben der Tür an und strich sich den Rock glatt. »Jetzt hoch mit dir. Musst du dich ausgerechnet heute bitten lassen aufzustehen?«
    »Ein Kuss.«
    Sie beugte sich über mich. »Du gehst doch nicht zu den Soldaten, du fährst in die Skiferien.«
    Ich umarmte sie, schob mein Gesicht zwischen ihre blonden Haare, die ihr in die Stirn fielen, und drückte meine Nase an ihren Hals.
    Sie roch gut. Ich musste an Marokko denken. An diese wahnsinnig engen Gassen voller Stände mit farbigem Pulver. Aber ich war nie in Marokko gewesen.
    »Was ist das für ein Duft?«
    »Sandelholzseife. Wie immer.«
    »Kannst du sie mir leihen?«
    Sie hob eine Augenbraue. »Warum?«
    »Dann wasche ich mich damit und habe dich immer bei mir.«
    Sie zog mir die Decke weg. »Seit wann wäschst du dich denn? Los, stell dich nicht an, du wirst überhaupt keine Zeit haben, an mich zu denken.«
    Durch das Fenster des BMW besah ich mir die Mauer des Zoos. Sie war voller nasser Wahlplakate. Weiter oben, in der Voliere für Raubvögel, hockte ein Geier auf einem toten Ast. Er sah aus wie eine alte Frau in Trauer, die im Regen schlief.
    Wegen der Heizung im Auto bekam ich keine Luft mehr, und die Frühstückskekse steckten mir tief unten im Hals fest.
    Es hörte auf zu regnen. Ein Paar, er fett und sie mager, machte Gymnastik auf den mit klatschnassen Blättern bedeckten Stufen des Museums für moderne Kunst.
    Ich sah meine Mutter an.
    »Was ist los?«, fragte sie, ohne die Augen von der Straße zu wenden.
    Ich blähte den Brustkorb auf und versuchte, die tiefe Stimme meines Vaters nachzuahmen: »Du musst das Auto waschen, Arianna. Es ist ein Schweinestall auf vier Rädern.«
    Sie lachte. »Hast du
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