Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich
Autoren: Niccolò Ammaniti
Vom Netzwerk:
drückte ihr die Hand. »Mama, du kannst ganz beruhigt sein …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin ganz und gar nicht beruhigt.«
    Mit dem Arm um die Ski, der Tasche mit den Skistiefeln in der Hand und dem Rucksack über der Schulter sah ich zu, wie meine Mutter wendete. Ich winkte ihr und wartete, bis der BMW auf der Brücke verschwunden war.
    Ich ging den Viale Mazzini hinunter, kam am Gebäude der RAI vorbei. Hundert Meter vor der Via Col di Lana ging ich langsamer, während mein Herz schneller schlug. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, als hätte ich an einem Kupferdraht geleckt. Dieses ganze Zeug, das ich schleppte, behinderte mich. Und in der Daunenjacke schwitzte ich wie in der Sauna.
    Als ich an der Kreuzung ankam, schaute ich um die Ecke.
    Weiter hinten, vor einer modernen Kirche, stand ein großer Mercedes-Geländewagen. Ich sah Alessia Roncato, ihre Mutter, den Sumerer, Oscar Tommasi, der gerade das Gepäck im Kofferraum verstaute. Ein Volvo mit einem Paar Ski auf dem Dach hielt neben dem SUV. Riccardo Dobosz stieg aus und lief zu den anderen. Dann stieg auch sein Vater aus.
    Ich zog mich zurück, an die Mauer, lehnte die Ski dagegen, machte die Daunenjacke auf und lugte wieder um die Ecke.
    Jetzt befestigten Alessias Mutter und Dobosz’ Vater die Ski auf dem Dach des Mercedes. Der Sumerer tänzelte herum und tat so, als wolle er mit Fäusten auf Dobosz losgehen. Alessia und Oscar Tommasi sprachen in ihre Handys.
    Sie brauchten lange, bis sie fertig waren, Alessias Mutter schimpfte mit ihrer Tochter, weil sie ihr nicht half, der Sumerer kletterte aufs Dach des Geländewagens, um die Ski zu kontrollieren.
    Und schließlich fuhren sie los.
    Während der Fahrt in der Straßenbahn kam ich mir wie ein Idiot vor. Mit den Ski und den Skistiefeln eingezwängt zwischen Angestellten in Jackett und Krawatte, Müttern und Kindern, die zur Schule fuhren.
    Wenn ich die Augen schloss, hatte ich das Gefühl, in der Seilbahn zu sein. Zwischen Alessia, Oscar Tommasi, Dobosz und dem Sumerer. Ich konnte den Duft von Kakaobutter und Sonnencreme riechen. Beim Aussteigen aus der Kabine würden wir uns schubsen und lachen, ohne jede Rücksicht auf die anderen Leute, uns benehmen wie solche, die meine Mutter und mein Vater Höhlenmenschen nannten. Ich könnte Sprüche klopfen und die anderen zum Lachen bringen, während sie sich die Ski anschnallten. Leute imitieren, Witze erzählen. Mir fielen nie Witze ein, wenn ich mit anderen zusammen war. Um in der Öffentlichkeit Witze zu machen, muss man sehr selbstbewusst sein.
    »Ohne Humor ist das Leben traurig«, sagte ich.
    »Weise Worte …«, antwortete eine Frau neben mir.
    Diese Sache mit dem Humor, die hatte mein Vater gesagt, als ich von meinem Vetter Vittorio bei einem Spaziergang auf dem Land mit Kuhscheiße beworfen worden war. Vor Wut hatte ich einen dicken Stein genommen und gegen einen Baum geschleudert, während dieser Spasti sich vor Lachen auf dem Boden wälzte. Sogar mein Vater und meine Mutter hatten gelacht.
    Ich packte mir die Ski auf die Schultern und stieg aus der Straßenbahn.
    Ich sah auf die Uhr. Zehn vor acht.
    Zu früh, um nach Hause zurückzukehren. Bestimmt würde ich Papa begegnen, der sich auf den Weg zur Arbeit machte.
    Ich ging Richtung Villa Borghese, zu dem hügeligen Gelände neben dem Zoo, wo die Hunde frei laufen dürfen. Ich setzte mich auf eine Bank, zog aus dem Rucksack eine kleine Flasche Coca-Cola und trank einen Schluck.
    In meiner Tasche klingelte das Handy.
    Ich wartete einen Augenblick, bevor ich mich meldete.
    »Mama …«
    »Alles in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Seid ihr losgefahren?«
    »Ja.«
    »Viel Verkehr?«
    Ein Dalmatiner flitzte an mir vorbei. »Geht so …«
    »Kannst du mir Alessias Mutter geben?«
    Ich senkte die Stimme. »Geht nicht. Sie fährt.«
    »Dann telefonieren wir heute Abend, damit ich mich bedanken kann.«
    Der Dalmatiner begann sein Frauchen anzubellen, weil er einen Stock geworfen haben wollte.
    Ich hielt das Telefon mit der Hand zu und rannte zur Straße.
    »In Ordnung.«
    »Bis später.«
    »In Ordnung, Mama, bis später … Wo bist du denn? Was machst du gerade?«
    »Nichts. Ich liege im Bett. Ich möchte noch ein bisschen schlafen.«
    »Und was machst du dann?«
    »Später gehe ich zu Nonna.«
    »Und Papa?«
    »Ist gerade aus dem Haus.«
    »Ah … Klar. Mach’s gut. Ciao.«
    »Ciao.«
    Perfekt.
    Da war er, der Cercopithecus, und fegte die Blätter auf dem Hof zusammen.
    So nannte ich Franchino,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher