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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich
Autoren: Niccolò Ammaniti
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und sang mit unsicherer Stimme bei Marcella Bella mit: »Mi ricordo montagne verdi e le corse di una bambina con l’amico mio più sincero, un coniglio dal muso nero …«
    Ich drehte die Lautstärke ein wenig herunter. »Leise … Leise … Sie können uns hören. Die Barattieri oder der Cercopithecus …«
    Doch Olivia hörte nicht zu. Sie tanzte vor mir herum, wiegte sich zur Musik und sang mit leiser Stimme: »Poi un giorno mi prese il treno, l’erba, il prato e quello che era mio scomparivano …«
    Sie nahm meine Hände, sah mich mit feuchten Augen an und zog mich an sich. »Il mio destino è di stare accanto a te, con te vicino più paura non avrò, e un po’ bambina tornerò.«
    Ich stöhnte und schämte mich, als ich anfing zu tanzen. Das war die Sache, die ich am meisten hasste. Tanzen.
    Doch an diesem Abend tanzte ich, und während ich tanzte, raubte mir ein neues Gefühl, lebendig zu sein, den Atem. In wenigen Stunden würde ich diesen Keller verlassen. Und alles würde wieder wie vorher sein. Und doch wusste ich, dass jenseits dieser Tür die Welt war. Und dass sie mich erwartete. Dass ich mit den anderen reden konnte, als wäre ich einer von ihnen. Entscheiden, etwas zu tun, und es tun. Ich konnte weggehen. Ich konnte ins Internat. Ich konnte mein Zimmer neu einrichten.
    Der Keller war dunkel. Ich hörte das regelmäßige Atmen meiner Schwester, die auf dem Sofa lag.
    Sie hatte fünf Flaschen Bier und ein Päckchen Muratti niedergemacht.
    Ich konnte nicht einschlafen. Ich hätte gern weiter geredet, ich dachte an den Diebstahl beim Cercopithecus, daran, wie ich die anderen in die Skiferien hatte fahren sehen, an das Abendessen mit Bier und an meine Schwester und mich, die wir uns wie Erwachsene unterhalten und zu Montagne verdi getanzt hatten.
    »Olivia?«, flüsterte ich.
    Sie brauchte eine Weile, bis sie antwortete. »Ja.«
    »Schläfst du?«
    »Nein.«
    »Was machst du, wenn wir hier rausgehen?«
    »Ich weiß nicht … Vielleicht gehe ich weg.«
    »Wohin?«
    »Ich habe so eine Art Freund in Bali.«
    »Bali in Indonesien?«
    »Ja, er lehrt Yoga und macht Massagen in einem Ort am Meer mit lauter Palmen. Da gibt es jede Menge bunter Fische. Ich will herausfinden, ob wir noch zusammen sind. Ich will probieren, wirklich mit ihm zusammen zu sein. Wenn er will …«
    »Mit ihm zusammen sein«, murmelte ich mit dem Mund auf dem Kissen.
    Er hatte Glück, dieser Typ. Er konnte sagen: Olivia ist mit mir zusammen. Ich würde auch gern nach Bali reisen. Zusammen mit Olivia das Flugzeug nehmen. Und lachen und beim Check-in anstehen, ohne etwas miteinander reden zu müssen. Sie und ich fliegen zu den bunten Fischen. Und Olivia würde zu ihrem Freund sagen: »Das ist Lorenzo, mein Bruder.«
    »Wie heißt dein Freund?«, fragte ich, wobei ich Mühe hatte zu sprechen.
    »Roman.«
    »Ist er nett?«
    »Ich bin sicher, er würde dir gefallen.«
    Es war schön, dass Olivia mich gut genug kannte, um zu wissen, dass mir ihr Freund gefallen würde. »Hör mal, ich muss dir etwas erzählen … Ich habe gesagt, dass ich zum Skilaufen nach Cortina fahren würde, weil ich Mist gebaut habe. Ich war in der Schule und hörte, dass meine Klassenkameraden Ski fahren gehen würden. Mich haben sie nicht eingeladen. Mir liegt auch gar nichts daran, mit den anderen wegzufahren. Aber ich bin nach Hause gegangen und habe Mama gesagt, ich wäre auch eingeladen. Und sie hat es geglaubt und sich gefreut und hat angefangen zu weinen, und da habe ich nicht mehr den Mut gehabt, ihr die Wahrheit zu sagen, und deshalb habe ich mich hier versteckt. Und weißt du was? Seitdem habe ich die ganze Zeit versucht zu kapieren, warum ich sie angelogen habe.«
    »Und hast du es kapiert?«
    »Ja. Weil ich mitfahren wollte. Weil ich mit ihnen Ski laufen gehen wollte, ich kann gut Ski fahren. Weil ich ihnen die geheimen Pisten zeigen wollte. Und weil ich keine Freunde habe … Ich wollte einer von ihnen sein.«
    Ich hörte, dass sie aufstand. »Mach mir mal Platz.«
    Ich rückte ein Stück, und sie legte sich neben mich und nahm mich fest in den Arm. Ich spürte ihr knochiges Knie. Ich legte eine Hand auf ihre Taille, ich konnte ihre Rippen zählen. Dann streichelte ich über ihren Rücken. Unter den Fingern die spitzen Wirbel. »Olivia, versprichst du mir etwas?«
    »Was?«
    »Dass du nie mehr Drogen nimmst. Nie mehr.«
    »Das schwöre ich dir bei Gott. Nie mehr. Auf diese Scheiße falle ich nicht mehr herein«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Und du, mein
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