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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich
Autoren: Niccolò Ammaniti
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K19 geht in Stücke, der Motor macht ein komisches Geräusch, und er ist völlig fertig. Er kommt am Ende der Straße an und steht vor dem größten Pool, den er je gesehen hat. Das Wasser ist schmutzig, und es gibt Wellen. In der Zwischenzeit rückt die Armee näher. K19 betrachtet den Pool, er ist so groß, dass man gar nicht sehen kann, wo er aufhört. Die Sonne geht darin unter, und es gibt riesige Luftmatratzen. Niemand hat ihm erklärt, dass dies das Meer ist und dass es keine Luftmatratzen sind, sondern Schiffe. K19 weiß nicht, was tun. Er fragt sich, wie er diesen endlosen Pool je reinigen soll. Zum ersten Mal hat er Angst. Als er am Ende der Mole angekommen ist, dreht er sich um: Da ist die Armee. Er will schon kämpfen, doch dann überlegt er es sich noch einmal, macht einen Satz, stürzt sich ins Meer und verschwindet.« Mein Mund war trocken. Ich nahm die Wasserflasche vom Nachttischchen und goss mir ein Glas ein.
    Meine Großmutter bewegte sich nicht, sie war eingeschlafen.
    Die Geschichte hatte ihr nicht gefallen.
    Ich stand auf, doch da flüsterte Nonna: »Und dann?«
    »Wie? Und dann?«
    »Wie endet es?«
    Die Geschichte war zu Ende. Fertig. Und mir schien dieses Ende gut.
    Und außerdem hasste ich das Ende von Geschichten. Am Ende müssen sich die Dinge immer, im Guten oder im Schlechten, regeln. Mir gefiel es, von sinnlosen Kämpfen zwischen Aliens und Irdischen zu erzählen, von Reisen durchs All auf der Suche nach nichts. Mir gefielen wilde Tiere, die einfach so lebten, ohne zu wissen, dass sie sterben mussten. Mich machte es verrückt, wenn ich einen Film sah, dass Papa und Mama immer über das Ende diskutierten, als wäre das das Wichtigste und der Rest der Geschichte zählte nichts.
    Und außerdem, im wirklichen Leben, ist da auch nur das Ende wichtig? Zählte das Leben von Nonna Laura nichts, und nur ihr Tod in dem hässlichen Krankenhaus war wichtig?
    Ja, vielleicht fehlte der Geschichte von K19 etwas, doch die Idee vom Selbstmord im Meer fand ich gut. Ich wollte Nonna Laura gerade sagen, dass die Geschichte zu Ende sei, als mir plötzlich ein anderer Schluss einfiel.
    »Das Ende geht so: Zwei Jahre später sind Forscher an einem Strand auf einer tropischen Insel. Es ist Nacht, Vollmond. Sie haben sich hinter einer Düne versteckt und beobachten mit Ferngläsern den Strand. Plötzlich kommen Meeresschildkröten aus dem Wasser, sie wollen ihre Eier ablegen. Die Schildkröten klettern auf den Sand, graben mit ihren Flossen ein Loch und legen die Eier ab. Und dann kommt auch K19. Er ist ganz mit Algen und Muscheln überzogen. Er schiebt sich langsam auf den Strand und macht mit den Saugketten ein tiefes Loch, deckt es zu und kehrt dann zusammen mit den Schildkröten ins Meer zurück. In der Nacht darauf tauchen aus dem Sand eine Menge kleiner Schildkröten auf. Und aus einem Loch kommen viele winzig kleine K19, wie Spielzeugpanzer, und gehen mit den kleinen Schildkröten ins Meer.« Ich holte Luft. »Ende der Geschichte. Gefällt sie dir?«
    Meine Großmutter nickte mit geschlossenen Augen, und in diesem Augenblick öffnete sich die Zimmertür, und eine Krankenschwester, die genauso aussah wie John Lennon, kam mit einem Tablett voller Medikamente herein. Sie war nicht auf Besucher gefasst und stutzte.
    Wir starrten uns eine Sekunde lang an, dann murmelte ich einen Gruß und machte mich davon.

 
9
    Der Cercopithecus wanderte ziellos über den Hof.
    Ich beobachtete ihn von der anderen Straßenseite aus, versteckt hinter einem Müllcontainer. Hin und wieder setzte er mit dem Besen kurz an, stand dann wieder wie blockiert da, als hätte man ihm den Stecker rausgezogen.
    Ich Idiot hatte das Handy nicht mitgenommen und konnte ihn deshalb nicht wie beim letzten Mal hereinlegen. Ich war zu lange bei Nonna geblieben, in zwei Stunden würde die Portiersloge geschlossen. Und Olivia wartete auf mich.
    Nach einer Viertelstunde kam der Ingenieur Caccia, der aus dem vierten Stock. Dann trat Nihal mit den Dackeln aus dem Haus und begann neben dem Brunnen mit dem Cercopithecus zu reden. Die beiden konnten sich nicht leiden. Doch der Cercopithecus hatte einen Verwandten, der in einem Reisebüro arbeitete und den Singhalesen im Viertel Flugtickets zum Sonderpreis besorgte.
    Wie ich so hinter dem Müllcontainer versteckt stand, taten mir langsam die Beine weh. Ich verwünschte mich, dass ich das Handy nicht mitgenommen hatte.
    Und dann kam auch noch Giovanni, der Postbote. Alle drei fingen an zu diskutieren und
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