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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt
Autoren: Don DeLillo
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derselbe wie bei einem Nachtspiel, wenn das Feld und die Spieler von der Nacht, die sie umgibt, vollkommen getrennt zu sein scheinen. Er ist einmal in seinem Leben bei einem Nachtspiel gewesen, mit seinem ältesten Bruder kam er vom Hügel zum Stadion herunter und trat in eine Schüssel aus gemaltem Licht. Er glaubte, aus den Lichttürmen flackerte eine unbekannte Energie herab, ein heftigeres Wirken der Erde, das die Spieler und das Gras und die Kreidelinien von allem anderen isolierte, das er je gesehen oder sich vorgestellt hatte. Alles verströmte den Schimmer des Neuen.
    Wie der Läufer eine Schlitterbremsung macht, als er bei der First Base in die Kurve geht.
    Die leeren Sitze waren die erste Überraschung für Cotter, lange vor dem Licht. Auf seiner Pirsch durch die Tribünen sah er die ganze Zeit leere Sitze, zu viele, um einfach anzunehmen, daß die Leute gerade ein Bier holten oder eins wegbrachten, und er fand eine Lücke zwischen ein paar Typen im Anzug, und nun kann er nur sein Glück hinnehmen, die Bequemlichkeit eines richtigen Sitzes, ohne sich Gedanken darüber zu machen, warum es so viele davon gibt.
    Der Mann links von ihm sagt: »Wie wär's mit ein paar Erdnüssen, hm?«
    Der Erdnußverkäufer kommt gerade wieder durch, ein münzenauffangender Gaukler, etwa achtzehn, schwarz und geschmeidig. Die Leute kennen ihn von früheren Spielen und vergangenen Innings und werden wach und wühlen nach Kleingeld. Sie wollen Erdnüsse, hey, hier, eine Tüte, und werfen Münzen mit Daumenschnippen und Diskusbögen, und die Hände des Verkäufers scheinen das fliegende Metall einzuatmen. Er hat Magnethaut, fängt die Zehnermünzen akrobatisch im Fluge und läßt den Leuten die Erdnußtüten vor die Brust segeln. Es ist eine effekthascherische Show, aber Cotter wittert eine versteckte Gefahr. Der Kerl macht ihn sichtbar, stellt ihn bloß in seinem Räubernest. Ist es nicht seltsam, wie die gemeinsame Hautfarbe den Raum zwischen ihnen überspringt? Keiner hat Cotter bemerkt, bevor der Verkäufer auftauchte, dem schwarze Strahlen aus den Händen strömen. Der eine populärer Neger, Publikumsliebling. Der andere ein wendiger Junge, der versucht, nicht aufzufallen.
    Der Mann meint: »Na, was sagst du?«
    Cotter hebt ablehnend die Hand.
    »Magst du eine Tüte? Na los.«
    Cotter beugt sich weg, eine Hand geht zur Körpermitte, um anzudeuten, daß er schon gegessen hat oder daß er von Erdnüssen Krämpfe kriegt oder daß seine Mutter ihm eingeschärft hat, sich nicht mit irgendwelchem Fraß vollzustopfen, verdirb dir nicht den Appetit aufs Abendessen.
    Der Mann fragt: »Und welche ist deine Mannschaft?«
    »Giants.«
    »Was fürn Jahr, wie?«
    »Dieses Wetter, weiß nicht, schlecht, wenn man im Rückstand ist.«
    Der Mann schaut zum Himmel. Er ist etwa vierzig, glattrasiert und brillantinefrisiert, aber auf eine lässige Weise, in einer lockerleichten Art, die Cotter mit Kleinstadtleben im Kino verbindet.
    »Ach, ist doch erst ein Punkt Rückstand. Die kommen schon wieder. Nach so einer Saison lassen die sich nicht von einem bißchen Wetter aufhalten. Und was zu trinken?«
    Männer an den Toiletten, gehen rein und raus, ziehen auf dem Rückweg von der Rinne ihren Reißverschluß hoch, und andere Männer nähern sich der langen Rinne, denken darüber nach, wo sie stehen wollen, neben wem und neben wem nicht, Gestank und Schimmel des alten Baseballstadions haben sich hier verewigt, seit Generationen Fluten von Bier und Scheiße und Zigaretten und Erdnußschalen und Desinfektionsmitteln und Pisse, das geht weit in die Millionen, und sie denken nach, auf die ganz gewöhnliche Art, die dem Menschen hilft, durchs Leben zu rutschen, denken Gedanken, die mit den Ereignissen nicht in Verbindung stehen, das staubige Brummen dessen, was man ist, Männer, die sich durch den Betrieb auf dem Männerklo drängen, während das Spiel weitergeht, das Kommen und Gehen, das Rausholen der Schwänze und das nachdenkliche Pinkeln.
    Der Mann links rutscht auf seinem Platz herum und spricht über die Schulter zu Cotter herunter, flüstert listig: »Und die Schule? Machst wohl Privatferien?« Und ein Grinsen gleitet über sein Gesicht.
    Cotter sagt: »Genau wie Sie«, und erntet wie aus der Pistole geschossen ein Lachen.
    »Ich wäre aus dem Gefängnis ausgebrochen, um dieses Spiel zu sehen. Wird übrigens sogar in die Gefängnisse übertragen. Sie stellen in den Stadtgefängnissen Radios in die Zellenblocks.«
    »Ich war schon früh da«, sagt
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