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Der eiserne Tiger

Der eiserne Tiger

Titel: Der eiserne Tiger
Autoren: Jack Higgins
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Für Brenda Godfrey, die immer eine gute Story mag

    »Der Tod ist ein eiserner Tiger.« (Afghanisches Sprichwort)

    1. Kapitel
    DAS TAL DES SCHWEIGENS

      Jenseits der Berge leuchtete der
Himmel blau und morgenfrisch. Die Sonne stieg langsam höher und
hüllte die eisbedeckten Gipfel in einen goldenen Glanz. Die
Täler tief unten lagen noch schweigend im Dunkel. Außer dem
monotonen Brummen des Motors war kein Laut zu hören. Die Maschine
flog durch das Gewirr der Berge und Täler und bewegte sich in
Richtung Tibet.
      John Drummond war völlig
übermüdet. Zudem quälte ihn ein dumpfer, nagender
Schmerz hinter seinem rechten Auge. Zuviel gesumpft, zuviel Whisky -
und der Jüngste war er auch nicht mehr. Jedenfalls entschieden zu
alt, um in der vom fliegerischen Standpunkt gefährlichsten Gegend
der Welt ohne Druckausgleich in 5000 in Höhe herumzugondeln.
      Er wandte sich Cheung zu.
      »Unter Ihrem Sitz ist eine schwarze Thermosflasche mit Kaffee. Ich könnte jetzt welchen brauchen.«
      Sein Begleiter war Chinese, in dessen
Adern jedoch offensichtlich auch europäisches Blut floß. Er
wirkte sehr gesund, war braungebrannt und hatte auffallend blaue Augen.
Sein Mund verzog sich zu einem ironischen Grinsen.
      Cheung trug einen schweren
Lammfellmantel und eine Astrachan-Pelzkappe. Vor Kälte zitternd
öffnete er die Vakuumflasche und goß Kaffee in einen
Plastikbecher. »Ist es immer so kalt?«
      Drummond nickte. »Der Wind weht
von der Mongolei her. Es ist schon vorgekommen, daß er Teile vom
Rumpf weggerissen hat.«
      Cheung starrte in das felsige Tal
tief unter ihnen hinab. »Was würde geschehen, wenn der Motor
aussetzte?«
      Drummond lachte heiser. »Das fragen Sie doch wohl nicht im Ernst?«
      Cheung seufzte. »Mir wird von Minute zu Minute klarer, daß Sie
    das Geld wert sind, das Sie für diese Flüge bekommen.«
    »Vielleicht auch etwas mehr Geld.«
      Der Chinese lächelte
liebenswürdig. »Mein lieber Jack, wir sind in Formosa fast
ausschließlich auf die Gnade und Barmherzigkeit unserer
amerikanischen Freunde angewiesen. Wenn sie nicht so
großzügig wären, könnten wir uns nicht einmal
solche kleinen Gesten wie dieses tibetanische Unternehmen
leisten.«
      Drummond zuckte die Achseln.
»Ich mache mir darum keine Sorgen. Nur noch ein paar solche
Flüge, dann höre ich auf. Ich bin diese Tour schon zu oft
geflogen. Geborgte Zeit.«
      Cheung runzelte die Stirn.
»Aber Jack, es gibt doch gar keinen Ersatz für Sie. Was
sollen wir denn ohne Sie anfangen?«
      »Niemand ist
unersetzlich«, erwiderte Drummond. »In irgendeiner Bar in
Kalkutta werden Sie schon jemanden finden. Dort wimmelt es doch von
ehemaligen Fliegern der Royal Air Force, die immer noch herumzigeunern
oder ihre Fluglizenz eingebüßt haben. Wenn die Kasse stimmt,
fliegen die überall hin.«
      Sie überflogen eine so öde
Landschaft, daß sie auf dem Mond zu sein glaubten. Ringsum
schneebedeckte Gipfel. Drummond steuerte die kleine Maschine mit
solchem Geschick durch alle Fährnisse, daß es an ein Wunder
grenzte. Einmal sackten sie so plötzlich in ein Luftloch ab,
daß ihnen fast das Herz stehenblieb. Ein andermal flogen sie
durch eine so enge Schlucht, daß die Tragflächen fast die
Felswände streiften. Schließlich erhoben sie sich über
einen schneebedeckten Grat und nahmen Kurs auf die unendliche Weite.
Drummond zog die Maschine steil nach oben.
      Ein ausgedehntes Tal lag mehr als
dreitausend Meter unter ihnen wie ein riesiger schwarzer Abgrund.
Große, schimmernde Wolkenbänke schoben sich immer wieder
zwischen sie und die Erde und nahmen ihnen vorübergehend die
Sicht. Sieben oder acht Meilen hinter dem Tal lag die letzte eisige
Grenze zwischen Baipur und Tibet.
      Der Motor klang jetzt ganz anders,
irgendwie gedämpft. Die Stille lastete auf ihnen, bis Cheung
aufseufzend sagte: »Was für ein
    herrlicher Anblick! Noch nie habe ich so etwas gesehen.«
      »Man nennt es das ›Tal
des Schweigens‹ «, erklärte Drummond. »Als hier
noch Karawanen durchzogen, haben sie vom einen Ende bis zum ändern
zwei Tage gebraucht. «
      Die Beaver schwebte weiter durch das
unendliche blaue Himmelsgewölbe, durchstieß Schatten und
flog dann wieder im strahlenden Sonnenschein dahin, bis sich das letzte
große Hindernis vor ihnen erhob.
      Drummond drückte sachte den
Steuerknüppel zurück, und die Beaver stieg höher. Das
Brummen des Motors schwoll zu einem tiefen Dröhnen an. Zwischen
den
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