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Und ploetzlich bist du jemand anders

Und ploetzlich bist du jemand anders

Titel: Und ploetzlich bist du jemand anders
Autoren: Christian Tielmann
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Ganz simpel. Langsam.
    Fünf Töne. Immer wieder dieselben, ein Ostinato.
    Und der Text?
    Ist doch klar: Eine Band hat ihren Trommler verloren. Wie ein Drogentoter geistert der Trommler durch die Stadt. Und der findet den Ausweg aus dem Labyrinth der Gedanken und Gefühle nicht.
    „Oneway, U-Turn; Oneway, U-Turn!“ Das geht nur Englisch.
    „Einbahnstraße, Gegenrichtung einschlagen“, klingt einfach nur nach der Plastik-Stimme eines Navigationsgeräts. Das muss der Backgroundchor singen. Dave und Paul.
    Das kriegen die hin. Vielleicht sogar in Schmalz-Terzen. Warum nicht?
    Den Rest singt Sten selbst.
    Mit seiner Asthma-Stimme. Ist ja nicht der erste und nicht der einzige Sänger in einer Rockband, der alles kann außer singen.
    Es ist plötzlich so klar. So einfach.
    Die Melodie fliegt ihm in die Finger. Er wechselt vom Bass ans Keyboard für die Harmonien.
    Ist das echt sein Song? Ist das blöd? Zu einfach?
    Sein Handy klingelt. Lea.
    „He, mein Vater leiht euch die Ausrüstung, solange ihr sie braucht. Aber er will ein Ticket zu jedem Konzert haben. Und ein signiertes Exemplar eurer ersten CD .“
    „Scherzkeks.“
    „Schon immer gewesen.“
    „Wann können wir das Zeug holen?“
    „Wie wär’s jetzt?“
    „Sind schon unterwegs.“

8.
    „Spielen wir sie an die Wand!“
    Dave, Paul und Sten stehen hinter der Bühne.
    Diese Bretter, die die Welt bedeuten.
    Die Aula ist gefüllt bis auf den letzten Platz.
    Lea macht das Licht für sie. Am liebsten hätten sie die Nebelmaschine gehabt. Aber das hat der Hausmeister nicht erlaubt. Versicherungstechnisch geht das nicht. Versicherungstechnik, die letzte Universal-Ausrede.
    Die anderen Bands haben inzwischen alle gespielt. Die Kleinen mit den beiden E-Gitarren und den drei verstärkten Blockflöten waren gar nicht schlecht. Vanessas Mädchenband war voll peinlich. Aber wer weiß, wie die Jury um Oberstudienrat Jakobi das sieht.
    Endlich wird es stockfinster.
    Wie verabredet.
    „Auf geht’s!“
    Dave und Paul klopfen Sten auf die Schulter.
    Ob Theo da ist?
    Sten hat ihn noch nicht gesehen. Und seit Tagen nicht mit ihm gesprochen. In der Schule spricht Theo nur noch im Unterricht. In den Pausen ist er unauffindbar.
    Na ja, sicher wäre er auffindbar, wenn Sten wirklich suchen würde. Aber wozu soll er das noch machen?
    Er spürt den Gurt vom Bass auf seiner Schulter. Angenehmer Druck. Sein Instrument. Sein letzter Kumpel.
    Auf die Bühne.
    Unruhe im Saal.
    Warten, bis Dave und Paul an ihren Plätzen sind.
    Bass einstöpseln. Gestimmt haben sie schon dreimal.
    Und eins, zwei, drei, vier.
    Slow Motion.
    In die Aula hinein.
    Die Basslinie. Nackt. Einsam. Ein Wanderer.
    Ein Wanderer ohne Weg.
    Immer dieselben Schritte. Einer nach dem anderen und dann wieder von vorne.
    Da flackert das Licht auf. Der erste Scheinwerfer.
    Zeigt nur das Schlagzeug.
    Das Schlagzeug, das sie aufgebaut haben. Theos Schlagzeug aus dem Probenraum. Ohne Theo.
    Paul setzt mit der Gitarre ein.
    Und Dave spricht in die ersten Harmonien: „Das hier ist für Theo!“
    Jetzt nur nicht heulen, denkt Sten.
    Singen. Oder sprechen. Oder irgendwas dazwischen.
    Noch ein Takt.
    Näher ans Mikro treten.
    Drei, vier. Mund auf.
    Es geht.
    Sie ist ein dünner Bach, diese Stimme. Sie ist nicht fett wie Theos. Aber es funktioniert.
    Er merkt es gleich in der ersten Strophe. Die sitzen da in den ersten zwei Reihen und klappen die Münder auf und lachen nicht. Die hören einfach nur zu.
    Hören von der Band ohne Drummer.
    Hören vom Labyrinth. Vom Verirren. Von Gedanken und Gefühlen und Einbahnstraßen.
    Selbst beim Background-Gesang von Dave und Paul fängt keiner an zu lachen. Und das trotz der Schmalz-Terzen.
    Letzte Strophe. Jetzt wird auch dem letzten Depp im Publikum klar, dass der Drummer keine Drogen genommen hat. Hat sich einem religiösen Zirkel verschrieben. „Dein Glaube ist Gedanken-Crack!“
    Da meint Sten ihn zu sehen: den großen, schlaksigen Jungen mit den langen schwarzen Haaren. Irgendwo ganz hinten bei Lea.
    Da steht Theo.
    Noch ein kurzes Gitarren-Riff von Paul.
    Dann noch einmal der Refrain.
    Und Fade-out.
    Licht runter. Nur noch der Scheinwerfer auf dem einsamen Schlagzeug. Wie am Anfang.
    Für ein paar Sekunden herrscht völlige Stille im Raum.
    Shit, denkt Sten. Was ist los? Entweder die fangen gleich an zu lachen oder sie gehen einfach raus. Oder …
    Da bricht der Applaus endlich los. Sie trampeln mit den Füßen, sie pfeifen und johlen.
    Zu-ga-be!-Zu-ga-be!-Rufe werden skandiert,
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