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Und ploetzlich bist du jemand anders

Und ploetzlich bist du jemand anders

Titel: Und ploetzlich bist du jemand anders
Autoren: Christian Tielmann
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Strickjacke, von dem Sten erst erwartet hatte, dass es von den Missionaren angequatscht würde. Das war Yola gewesen!
    „Und? Hat dich das gestört?“, fragt Sten schärfer, als er es eigentlich will.
    „Reg dich ab. Ich bin nicht beim Haus der Erkenntnis. Nicht mehr, um genau zu sein.“
    Sie wartet, wie ihre Worte bei Sten wirken.
    Sie wirken. Sie war also dabei.
    „Aber ich war mal ziemlich hart drauf, als ich noch dabei war. Deshalb kann ich dir vielleicht ein paar Sachen erklären, die du nicht weißt.“
    Sten sucht sein Asthma-Spray. Warum will ihm jeder was erklären? Ihm ist eigentlich alles klar: Die Säcke von der Sekte haben Theo angelockt, sein Gehirn eingeweicht und jetzt zocken sie ihn ab. Irgendwo in der Südsee sitzen zwei kichernde Gurus und schwimmen in einem Pool voll Geld.
    „Du hast echt einen Freund, der in der Gruppe ist?“, fragt Yola.
    „Sekte. Nenn es Sekte“, sagt Sten.
    Yola wiegt den Kopf hin und her. „Das ist schon ein Teil des Problems.“
    „Wieso?“
    „Klar, ich kann die auch nicht leiden. Nicht mehr. Aber Sekte, das klingt so nach böse, böse Menschen, die arme, arme Opfer abziehen.“
    „Genauso ist es ja auch.“ Sten nimmt noch einen Schluck Cola.
    „Nein, genauso ist es nicht“, sagt Yola.
    „Zumindest war es bei mir nicht so. Es würde mich auch sehr wundern, wenn du einen Freund hast, der so dämlich ist.“
    Sten schweigt. Wie dämlich Theo ist, das gehört zu den Punkten, die ihm nicht ganz klar sind. Andererseits, wenn er ehrlich ist, dann ist Theo nicht dämlich. Noch nie gewesen.
    „Ich bin das erste Mal mit meiner Schwester ins Haus der Erkenntnis gegangen. Ich hatte damals jede Menge Ärger mit meinen Eltern und in der Schule lief auch alles schief.“
    „So weit so normal.“
    „Eben nicht. Ich wusste manchmal morgens nicht, warum ich überhaupt aufstehen sollte.“ Yola knibbelt nervös an ihren schwarzen Fingernägeln. „Ist ja auch egal. Jedenfalls waren im Haus der Erkenntnis das erste Mal Leute, die mir einfach zugehört haben. Die haben sich für meinen privaten Krampf interessiert. Die wollten das alles wissen. Irgendwie passte das für mich.“
    Sten bekommt eine Ahnung davon, was Yola meint. „Aber Meditation? Wand anstarren?“
    Yola lacht. „Du wirst bestimmt nie meditieren, Sten. So viel ist sicher.“ Sie schaut zur Tür. „Ich glaube, deine eifersüchtige Freundin kommt uns besuchen.“
    Sten wendet sich um. Da steht Lea. Und sie sieht in der Tat nicht sehr glücklich aus. „Sie ist nicht meine Freundin.“
    „Aber eifersüchtig.“ Yola grinst.
    Sten winkt Lea zu sich. „Ist es für dich in Ordnung, wenn Lea zuhört? Sie kennt Theo so gut wie ich.“
    „Klar, von mir aus, kein Problem.“
    Lea tritt zu ihnen. „Ich will euch nicht stören.“
    „Setz dich her und hör dir an, was Yola erzählt“, sagt Sten. „Es geht um Theo.“
    Lea guckt etwas überrascht. Aber sie setzt sich neben Sten auf das Sofa.

    Yola berichtet, wie sie immer öfter in das Haus der Erkenntnis ging. „Dann kam das erste Wochenendseminar dran. Die Meister da haben gesagt, dass ich kein schwieriger Fall sei. Ich solle meinen Weg finden. Nur, dass die eben eine ziemlich klare Vorstellung davon haben, wie dieser Weg aussieht: Meditation, Persönlichkeitstraining und Wochenendseminare – und zwar immer im Haus der Erkenntnis. Das hab ich auch ziemlich lange nicht hinterfragt. Es gab da ein total gutes Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir machen es richtig. Die anderen verstehen das nicht.“
    „Auf dem Trip ist Theo auch“, seufzt Lea.
    Sten nickt.
    „Das tut ja auch gut. Eine Weile jedenfalls.“
    „Und wieso bist du nicht mehr auf dem Trip? Ich meine, wie bist du ausgestiegen?“, fragt Sten.
    „Also, erst mal musst du dir merken: Ich bin da echt freiwillig hingegangen. Und ich war auch die ganze Zeit freiwillig da. Du kriegst da auch unglaublich viel: Anerkennung, wahnsinnig freundliche Menschen, alle hören dir zu. Aber mit der Zeit ging es richtig ins Geld, diese ganzen Kurse. Vor allem die Wochenendseminare. Rate mal, welcher Gesellschaft das Hotel gehört, in das die immer fahren?“
    „Dem Haus der Erkenntnis?“, fragt Sten.
    „Bingo“, sagt Yola. „Ich konnte irgendwann nicht mehr zahlen. Da waren erst noch alle ganz nett. Ich konnte Schulden beim Haus der Erkenntnis machen. Schließlich ist ja Geld angeblich nicht so wichtig wie der Sinn des Lebens und so weiter.“
    Sten nickt. Das hat Theo auch gesagt. Und das ist ja noch nicht mal
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