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Der falsche Graf

Der falsche Graf

Titel: Der falsche Graf
Autoren: Edna Schuchardt
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1. Kapitel
    Das Wasser der Eder plätscherte träge ans Ufer. Ein kühler Nachtwind streichelte die tief herabhängenden Äste der Trauerweiden, irgendwo im Schilf quakte ein Frosch.
    Vivy hob den Kopf und schnüffelte interessiert. Eigentlich hatte die Spitzhündin überhaupt keine Lust, sich von ihrem seidenen Ruhekissen zu erheben. Aber der Geruch, den ihr der Wind in die Nase trieb, reizte sie. Er war neu, gehörte nicht in ihre verwöhnte Nase, die sonst nur teure Parfüms, edle Blumen und die Luxusshampoos roch, mit denen sie und ihre Nachbarsrüden und Hündinnen einmal wöchentlich im Salon „Suzy“ gebadet wurden.
    Was der Wind ihr jetzt zutrug war eine Mischung aus Eau de Toilette, menschlichem Schweiß und latenter Angst. Der Duftmix kam eindeutig vom Nachbargrundstück, genauso wie das Knistern von Stoff und das Rascheln des Grases, wenn der Eindringling vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte. Er bewegte sich geschickt, aber für feine Hundeohren nicht geschickt genug. Die Hündin sprang auf, wuselte auf die Terrasse und versuchte den Duft des Menschen zu erwittern, um seinen gegenwärtigen Standort zu lokalisieren.
    Aha, er lief auf das Ufer zu. Vivy setzte sich in Bewegung, trippelte zur Hecke, schlüpfte hindurch und sauste dem schwarzen Schatten hinterher, der sich katzenhaft über den Rasen bewegte. Klaus-Peter Platzek bemerkte Vivy erst, als sie ihre scharfen Zähne in seine Wade grub. Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. Entsetzt versuchte er, die knurrende Töle am Nackenfell von seiner Wade zu reißen. Aber Vivy war eine resolute Hundedame, die sich schon viel zu lange in der Designer durchstylten Villa des Raiffeisenbankdirektors a. D. und dessen Gattin zwischen Samt und Seide langweilte. Dieser schwarz gekleidete Fremdling kam ihr gerade recht. Und kein Herrchen oder Frauchen weit und breit, die sie zurückpfiffen. Das musste sie ausnutzen.
    Je mehr Klaus-Peter zerrte, desto fester packten Vivys Zähne zu. Für Klaus eine schmerzhafte Prozedur, die er schließlich, halb irre vor Pein, aufgab. Mit der Hündin am Bein schleppte er sich zum Boot, das am Ufer vertäut lag. Seine Hoffnung, dass der Spitz loslassen würde, wenn er ins Wasser stieg, erfüllte sich nicht. Die Hundedame war vom Geschmack des Blutes so berauscht wie ein Technofan vom Genuss einer handvoll Ectasy-Kapseln. Und wie ein solcher wurde sie sich der Gefahr nicht bewusst, in der sie sich befand. Sie blieb einfach in Klaus-Peters Bein verbissen und ließ erst los, als er ihr mit aller Kraft, die ihm Schmerz und Verzweiflung verliehen, das Paddel über den Kopf zog.
    Ein Gefühl grenzenloser Erleichterung durchflutete ihn, als der Hundekörper endlich erschlaffte. Er schleuderte ihn von sich, kroch ins Boot und ergriff die Paddel.
    Vivy trieb eine Weile neben ihm her, als das Boot vom Ufer wegglitt. Als er weit genug entfernt war und zu pullen begann, tauchte die Hündin unter. Wahrscheinlich würde sie einem Wels oder einem Hecht als Frühstück dienen. Glücklicher Fisch!
    Und glücklicher Klaus-Peter. Er hatte zwar eine hässliche Wunde am Bein, die höllisch schmerzte, aber in dem Brustbeutel um seinen Hals steckte das Sissi-Medaillon. Ein Geschenk des sagenumwobenen Bayernkönigs Ludwig des Zweiten an seine geliebte Cousine Elisabeth von Österreich, der es nach eigenem Entwurf von dem damals bekannten Münchner Juwelier Wilhelm Schnaidmayer hatte anfertigen lassen. Es war mit zierlichen Ornamenten, Diamanten, Rubinen und Perlen ausgestattet. Im Inneren befand sich ein Miniaturporträt des Königs, angefertigt von dem Maler W. Hauschild, der um 1870/80 die Gemälde des Thronsaals im berühmten Schloss Neuschwanstein angefertigt hatte. Bei dem Medaillon handelte es sich also um ein Kleinod dessen Wert kaum zu beziffern war.
    Es hatte eine abenteuerliche Geschichte hinter sich, die es nach dem Tod der unglücklichen Kaiserin aus Österreich nach Bayern, dann im Zweiten Weltkrieg als Beutekunst nach Amerika und nach dem Krieg wieder zurück nach Deutschland geführt hatte. In den Sechzigern schickte es der Freistaat zusammen mit anderen Exponaten als Leihgabe nach Frankfurt, wo es prompt gestohlen wurde, was im Übrigen die hessisch-bayrischen Beziehungen auf Jahre hinaus nicht gerade verbesserte. Von da ab war dem wertvollen Stück praktisch keine Ruhe mehr vergönnt. Einmal ins Blickfeld fanatischer Sammler geraten, wurde es wieder und wieder gestohlen. Niemand wusste inzwischen mehr die unterschiedlichen
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