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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß
Autoren: Stefan Wolf
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sicherlich etliche Stunden beim Frisör zugebracht.
    Jürgen lächelte, während er über die
Kreuzung fuhr.
    Inge hatte wundervolles Haar. Wenn sie’s
wild wachsen ließ, zur Mähne — dann gefiel es ihm am besten.
    Und abgesehen von dem Haar: Für ihn war
seine Inge die schönste Frau der Welt.
    Aus alter Gewohnheit hatte er den
Polizeifunk eingeschaltet.
    „...bewaffneter Überfall im Einkaufs-Center
Hilleberger Straße“, hörte er in diesem Moment. „Der Täter hat eine Frau
niedergeschossen. Er flieht über das Baugelände hinter dem Center. An alle
Streifenwagen
    Jürgens Kiefer schlossen sich.
    Das Einkaufs-Center!
    Er war nur 200 Meter entfernt.
    Daß ihn die Sache anging, stand außer
Frage. Nicht zuletzt deshalb, weil auch er und Inge dort einkauften.
    Inge hatte früher eine kleine Pension
geleitet. Sie besaß einen Kundenausweis. Das bedeutete eine Ersparnis von
durchschnittlich 20 Prozent gegenüber anderen Supermärkten.
    Freilich mußten sie jedesmal an der
Kasse ihren Kundenausweis vorlegen.
    Also über das Baugelände floh er, der
Kerl!
    Jürgen riß seinen Opel nach rechts,
preschte in die holperige Einfahrt hinter dem Bauzaun und stoppte vor Trennwänden,
zwischen denen Zuschlagstoffe aufgeschüttet waren.
    Er sprang aus dem Wagen.
    Obwohl er in Zivil war, trug er seine
Dienstwaffe bei sich.
    Vielleicht erwischte er den Kerl.
    Das Skelett aus Stahlbeton für ein
zweites Einkaufs-Center-Gebäude war fast fertig.
    Jürgen rannte an einem Zementsilo
vorbei und sprang über den Schwellenrost eines Turmdrehkrans.
    Jetzt, am Samstagmittag, war hier
Feierabend, kein Mensch zu sehen.
    Vorn am Bauzaun wiesen Schilder darauf
hin, daß es verboten war, das Gelände zu betreten.
    Jürgen rannte an dem halbfertigen
Gebäude entlang und bog um die Ecke.
    Von hier reichte der Blick bis zu den
Flachbauten im Hintergrund. Niemand war zu sehen.
    Schon wollte er sich abwenden.
    In diesem Moment hörte er das Stöhnen.
    Er zog seine Waffe.
    Woher kam das?
    Flüche durchsetzten das Stöhnen.
    „...elender Mist! Zum Verrecken!“
    Na also! Jürgen hatte die Richtung
geortet.’
    Eine runde Zementplatte, armdick, lag
auf dem Boden.
    Sie war etwas angekippt, ragte aber nur
wadenhoch auf.
    Hinter ihr? Dann mußte der Kerl flach
sein wie eine Flunder.
    Mit der Waffe im Anschlag trat Jürgen
näher.
    Damit löste sich das Rätsel.
    Hinter der Platte befand sich ein
runder Zementschacht von etwa einem Meter Durchmesser.
    Den hatte der Kerl auf seiner Flucht
übersehen.
    Hineingestürzt war er.
    Wie gerecht doch das Schicksal manchmal
war!
    Jürgen beugte sich über den Rand.
    Ein blutverschmiertes Gesicht starrte
ihm entgegen.
    Knochig war der Kerl und so um die
dreißig Jahre, mit Narben und Beulen im bösen Gesicht. Wie ein Schläger oder Preisboxer
sah er aus.
    Offenbar war er nicht bis hinunter
gestürzt.
    Bis zum Grund — das mochten sechs oder
sieben Meter sein, wie Jürgen sehen konnte, als er — an dem Kerl vorbei — die
Tiefe mit Blicken maß.
    Festgekrallt, verkeilt hatte sich der
Typ. Und jetzt arbeitete er sich herauf nach Art der Bergsteiger im Felskamin:
Rücken und Schultern gegen eine Seite gestemmt, die Fuße gegen die andere.
    Aber er hatte seine Waffe noch, einen
schweren Revolver.
    Die rechte Hand fuhr unter den Blouson.
Waffenstahl blinkte. Jürgen zog den Kopf zurück.
    Dir werde ich’s zeigen, dachte er und
packte die Zementplatte.
    Sie war der Deckel des Schachtes.
Mochte der Himmel wissen, weshalb der nicht abgedeckt war. Eine Fahrlässigkeit!
Daß sie dem Verbrecher zum Verhängnis wurde, war eine andere Sache.
    An die zwei Zentner mochte die Platte
wiegen.
    Kein Problem für Jürgen. Zweimal pro
Woche quälte er sich mit höheren Gewichten im Bodybuilding-Studio.
    Aber jetzt machte er sich nicht die
Mühe, die Platte zu heben.
    „Pfoten weg!“ warnte er.
    Zement knirschte, als er die Platte
über den Schacht schob.
    „Nein!“ heulte der Typ.

    Etwa anderthalb Meter befand er sich
unter dem Rand.
    „Was ist?“ grinste Jürgen.
    „Das können Sie nicht machen. Ich
krepiere.“
    „Halt dich gut fest, du Ratte. Ich hole
Handschellen. Wie heißt du?“
    „Gnazow. Theo Gnazow. Ich ergebe mich.
Holen Sie mich raus! Ich ersticke.“
    „Flach atmen. Dann reichst du länger.
Hast eine Frau niedergeschossen, nicht wahr?“
    Jürgen ging ohne Eile zurück.
Jahrelanger Polizeidienst hatte sein Gemüt umpanzert. Selbst wenn die verletzte
Frau starb — irgendwann würde dieser Kerl wieder auf
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