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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken
Autoren: Katinka Buddenkotte
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I
    F rau-Kinder-Mann?«, fragt eine Roboterstimme aus dem Hörer, aber das darauffolgende Kichern klingt sehr menschlich. Es wirkt sogar ganz aufmunternd, und ich begreife langsam, dass ich wieder einer unterbezahlten Minijobberin den Tag gerettet habe. Sie hat den Witz meines Lebens verstanden.
    »Ja, hier ist Doris Kindermann, was gibt es denn?«, blaffe ich zurück, und das junge Ding am anderen Ende der Leitung erschrickt nur kurz, bevor sie mir mit abgehackter Stimme verkündet: »Frau Kindermann, herzlichen Glückwunsch, die Two-be-Two-Media AG hat Ihre Nummer aus zehntausend Hauptgewinnen … nä, warten Sie mal, Entschuldigung, ich bin in der Zeile verrutscht, also: Sie wollen doch ein Auto gewinnen, oder, Frau-Kinder-Mann?«
    »Nein«, antworte ich, denn obwohl ich mich keineswegs als wunschlos glücklich bezeichnen möchte, will ich weder Autos, Frauen, Kinder oder Männer gewinnen. Nicht um halb acht am Samstagmorgen. Ich würde viel lieber etwas verlieren, meine Beherrschung zum Beispiel. Aber das Mädchen am anderen Ende der Leitung, das wahrscheinlich in einem sehr tristen Großraumbüro in Neubrandenburg sitzt und am gestrigen Abend ausnahmsweise auf die Einnahme eines halben Dutzend Wodkamischgetränke verzichtet hat, nur um pünktlich und nüchtern bei ihrer Frühschicht zu erscheinen, gibt mir keine Chance dazu:
    »Warum denn nicht?«, fragt das Mädchen kläglich, und in echter, tiefer Enttäuschung hakt es nach: »Warum wollen Sie denn bloß kein Auto gewinnen?«
    Ich seufze. Man kann mich leicht einwickeln, wenn ich noch fast schlafe:
    »Ich brauche kein Auto, da, wo ich wohne«, behaupte ich und hoffe, sehr weise geklungen zu haben. Aber das Gegenteil scheint der Fall zu sein:
    »Echt nicht? Glaub ich nicht. Krass. Wo wohnen Sie denn? Hier geht ohne Auto gar nichts, das kannste mir aber glauben, ich meine, Sie können das mal glauben, hier gibt es echt gar nichts. Ich will ein Auto, und dann weg hier.«
    Die Telefonkraft der Two-be-Two-Media AG schnieft hörbar, und ich sehe mich reflexartig nach einem Papiertaschentuch um. Da auch mir nach ein paar Sekunden einfällt, dass die Technik noch nicht soweit ist, dass ich ein Tempo in die ehemalige Ostzone rüberfaxen könnte, schaue ich alternativ nach meinen Kippen, finde sie unter dem Nachttischchen und zünde mir eine an.
    Untermalt wird diese Aktion vom Jammern des Mädchens, das ich zwischenzeitlich »Loreen« getauft habe. Erstens passt der Name zu ihrer Stimme, zweitens duzt sie mich nun so konsequent weiter, dass ich mir auch keinen Nachnamen für sie ausdenken muss.
    Loreen berichtet: »Ey, weißte, hier ist alles echt doof, ne, und ich will hier weg. Letztes Jahr wollte ich auch schon weg, da habe ich mich bei DSDS bewerben wollen, aber da kam ich gar nicht hin mit dem blöden Bus, der fuhr nur bis Angermünde, und da hat es voll geregnet, mein Make-up war fratze, und so wollte ich da schon mal gar nicht hin, weil, du musst da schon auch geil aussehen, wegen Gesamtpaket und so, klar.«
    Ich ziehe an meiner Kippe und bestätige: »Hmmm, ist klar.«
    Klar, Loreen hat verstanden, wie es in der Welt läuft, und obwohl ich sie noch nicht so gut kenne, spüre ich, dass ihre Talente bei der Two-be-Two-Media AG verkümmern werden.
    Aber es ist auch ganz klar, dass mir schon vor dem ersten Kaffee jemand, der mir eigentlich nur meine Kontodaten aus den Rippen leiern sollte, seine Lebensgeschichte erzählt. Unaufgefordert, am Telefon. Soweit ist es also gekommen. Ich sehe nicht nur aus wie eine typische Sozialarbeiterin, ich klinge schon so. Mag daran liegen, dass ich eine bin, aber gerade im Moment denke ich wieder daran, umzusatteln.
    Vielleicht können die jemanden wie mich beim FBI gebrauchen. Doris Kindermann, sanfte und ganzheitliche Verhörmethoden, garantiert ohne Tierversuche, jetzt auch telefonisch. Loreen holt mich aus meinen Tagträumen zurück: »Falls das mit dem Superstar nicht klappt – meinst du, ich habe das Zeug zum Model?«, fragt sie, ganz ernsthaft, und ich schließe die Augen. Dieser zugegebenermaßen nicht völlig vorurteilsfreie Visualisierungsversuch meiner Gesprächspartnerin will mich ganz eindeutig »Nein, auf keinen Fall!« in den Hörer rufen lassen, aber obwohl ich noch gar nicht im Dienst bin, kann ich nicht aus meiner Haut. Also sage ich, in therapeutischster Stimmlage: »Loreen, ich bin sicher, du kannst alles schaffen, was du dir vornimmst.«
    »Wer ist Loreen?«, fragt Loreen irritiert, dann scheint sie ein
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