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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Doppel-M. Wegen der Kommunikation. Wenn ich den finde, der sich das ausgedacht hat, lasse ich ihn über die Planke laufen, ernsthaft.
    Als ich die Kommbüse betrete, steigt meine Laune. Hier herrscht gähnende Leere, weder die Kollegen noch zu betreuende Jugendliche sind zu sehen, also bin ich theoretisch gar nicht schon wieder zu spät. Doch nun bemerke ich ein Leuchten hinter der Bar, ein roter Kopf strahlt mir entgegen, natürlich ist eine doch schon da.
    »Oh, hi Doki, schönes Kleid«, begrüßt mich Kira, und ihre Gesichtsfarbe wird um eine weitere Nuance gesünder. Sie starrt mich diese vier Sekunden zu lange an, mit großen Augen, als wäre sie ein Kaninchen und ich die Schlange. Eine große, alte Boa constrictor, die sich in einen rot-schwarz gemusterten Fummel geworfen hat, der durchaus als angemessene Arbeitskleidung durchginge, wenn ich in einem Western Saloon tanzen würde.
    »Äh, tja, danke Kira, ich habe das nur angezogen, weil ich nach der Arbeit noch ausgehen wollte«, rechtfertige ich meinen Aufzug, während ich mich an Kira vorbei hinter die Theke quetsche. Kira ist nicht dick, nur blockig. Sie verfügt über die Gabe, immer im Weg zu stehen, überall. Dabei sieht man nie, dass sich ihr gesamter Körper durch den Raum bewegt, sie scheint nur den Kopf hin und her zu drehen und dem geschäftigen Treiben um sich herum erstaunt zu folgen. »Es steht dir aber wirklich gut«, kommentiert sie meine Garderobe erneut, wobei ihr Blick meinen Brustkorb durchbohrt, woraufhin ich mich gezwungen sehe, diesem zu folgen. Mein BH ist deutlich zu sehen, also schließe ich die obersten Knöpfe nachträglich und wechsle das Thema: »Tut mir leid, dass ich zu spät komme, ich hoffe, du bist mit dem Ansturm alleine fertig geworden?«
    Und obwohl ich Kira enorm zuzwinkere, weiß ich, was jetzt kommt. Kira fehlt irgendein Enzym. Sie kann keine Ironie vertragen, geschweige denn verstehen. Wahrscheinlich dachte sie tatsächlich bis vor einer Minute, dass mein Kleid so getragen werden müsste, dass die Unterwäsche zu sehen ist. Und fand es toll, weil sie alles toll findet, was ich trage, tue oder sage. Ich werde von einer Statue verehrt, die hier sonderbarerweise als Praktikantin angestellt ist.
    »Oh, es ging schon irgendwie«, berichtet Kira jetzt, »aber wir haben keine Holunderbrause mehr. Auch nicht im Lager. Das war ziemlich unangenehm, weil der Ludi eine haben wollte und fast wieder gegangen wäre, als es keine gab, dabei hatte ich schon einen Strich gemacht, und das wäre blöd gewesen, wegen der Statistik, oder, Doki?«
    Ich nicke langsam. Kiras größte Sorge gilt unserer Statistik, und mit dieser Einstellung steht sie nicht alleine da. Denn für jeden Jugendlichen, der unsere Einrichtung betritt, muss der zuständige Sozialarbeiter einen Strich in der Anwesenheitsliste verzeichnen. Und was sich zunächst läppisch anhört, erfordert ein Höchstmaß an Konzentration, Geschäftssinn und Weitsicht. Es will genau überlegt sein, wo auf unserem Formblatt dieser Strich verzeichnet wird, denn die Rubriken sind vielfältig: männlich, weiblich, unter fünfzehn Jahre, über fünfzehn, fünfzehn, Scheidungskind, Migrationshintergrund, Justin-Bieber-Frisur oder sonstige psychische Auffälligkeiten. Am Ende des Tages soll die Statistikliste möglichst bunt aussehen, damit wir uns alle gegenseitig auf die Schulter klopfen können, denn angeblich leisten wir ja Integrationsarbeit hier.
    Außerdem kann es immer sein, dass die Stadt Einblick in unsere Statistik haben möchte, damit auch die Politiker sich auf die Schulter klopfen und uns Gelder bewilligen können.
    »Der Ludi ist ja enorm wichtig, für die …«, ich falle Kira ins Wort:
    »Statistik, schon klar. Wo steckt er denn jetzt?«
    Kiras Kopf gleicht jetzt einem prallen Luftballon, aber er platzt nicht, sondern lässt etwas Luft entweichen, durch die winzige Mundöffnung: »Der ist im Medienraum, den hab ich ihm aufgeschlossen«, piepst sie.
    Ich atme durch und stelle fest, dass ich viel zu hungrig bin, um Kira eine Standpauke zu halten. Aber ich bin sauer genug, um mich mit Ludi anzulegen, also gehe ich ohne ein weiteres Wort in den ersten Stock, reiße die Tür zum Medienraum auf und donnere los: »Ludolf Schwenke-Großmann, du weißt sehr wohl, dass du den Computer nicht für Ballerspiele nutzen sollst, oder?« Ludi macht sich nicht die Mühe, sich dem Monitor ab- und mir zuzuwenden, aber immerhin spricht er mit mir:
    »Ey, Doki, hast du jetzt grade echt
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