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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken
Autoren: Katinka Buddenkotte
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irgendein Kerl in ihrem Ausschnitt steckt.
    Ich drücke die Kippe aus und stelle fest, dass ich eine enorm vielbeschäftigte Frau bin. Kaum zu glauben, dass ich mit einem 24-Stunden-Tag auskomme. Eine nüchterne Katja von meiner Wohnung und eine angeschickerte Katja von dem Brustquetschkleid fernzuhalten sind ja nur zwei Tagesordnungspunkte, andere Notwendigkeiten wie Nahrungsaufnahme, Hygiene und Kosmetik sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Und da war noch etwas.
    Richtig, Arbeit. Meine Schicht fängt um zehn Uhr an, also jede Menge Zeit, um zu duschen und zu frühstücken. Theoretisch. Rein praktisch ist heute aber Samstag und meine Arbeit fängt um neun Uhr an.
    Geistesgegenwärtig schlüpfe ich in das besagte Kleid, das meine kärgliche Oberweite einfach verschluckt, und hoffe, dass Katja es nicht mehr ausborgen möchte, wenn ich den ganzen Tag darin herumgelaufen bin. Ich werfe meinen Schlüssel und mein Handy in die Handtasche, sause die Treppen hinab, strample auf dem Fahrrad wie eine Irre bis zur nächsten Straßenecke, wo ich mich frage, ob ich die Zigarette ausgemacht habe. Falls nicht, wäre die Sache mit dem ungewollten Übernachtungsbesuch wenigstens geklärt.
    Ich beschließe, nicht umzudrehen.
    Zu meinen vielen guten Eigenschaften gehört unter anderem die Fähigkeit, dass ich auch in Stresssituationen immer den Überblick behalte. So steht es jedenfalls in meinen Bewerbungsunterlagen, also muss etwas dran sein.

II
    V öllig aus der Puste erreiche ich meine Arbeitsstelle, den Anker Jugendtreff e. V., sofort steigt leichte Panik in mir auf. Mein Baum ist zugeparkt. Ein schlechtes Omen. Ortskundige lehnen ihre Fahrräder normalerweise nicht an diese prächtige Linde auf der Verkehrsinsel, da sie dort binnen einer Stunde geklaut werden. Auch total verrostete, uralte und offensichtlich kaputte Räder werden hier blitzschnell gestohlen. Nur meines nicht. Obwohl die Kette und die Schaltung neu sind und ich es nicht einmal mehr abschließe: Keiner will mein Fahrrad. Ich auch nicht.
    Benno, mein Exfreund, hat es mir geschenkt. Vor kurzem hat er angerufen und mich gefragt, ob er das Fahrrad wiederhaben könne, um es seiner neuen Flamme zu vermachen. Ich empfand diese Forderung als so dreist, dass ich behauptet habe, das Rad sei mir geklaut worden.
    Nun hoffe ich seit über drei Wochen, dass meine Lüge zur Wahrheit wird, schon, weil ich kurz nach dem Telefonat eine Fahrradversicherung abgeschlossen habe. Aber dieses verdammte Rad verhöhnt mich. Tag für Tag strahlt es mir wieder ungeklaut entgegen – langsam fürchte ich, dass es sich bei diesem nicht stattfinden wollenden Fahrraddiebstahl um eine Verschwörung handelt, in die sowohl Benno, die Zweirad-Mafia als auch irdische und überirdische Hüter der Moral verstrickt sind.
    Ich wuchte das Teufelsrad also in den Ständer, gleich darauf spricht eine grollende Stimme aus dem Himmel zu mir: »Doris, kommst du dann auch langsam?«
    Ich richte meinen Blick nach oben. Das Haupt meiner Chefin Margret, hängt aus dem Fenster des vierten Stocks. Trotzdem kann ich die sanfte Enttäuschung in ihrem Blick von hier unten aus erkennen: »Bin sofort bei euch!«, rufe ich und stürme los, Margret kreischt. »Doris, du musst dein Rad doch abschließen! So viel Zeit ist jetzt auch noch!«
    Wie gut sind die Augen meiner Chefin? Wird sie von da oben aus bemerken, wenn ich das Kettenschloss nur lose um den Hinterreifen drapiere und den Schlüssel aufreizend darin stecken lasse? »Sicher ist sicher«, denke ich, und verknote das Schloss artig zwischen Speichen und Fahrradständer. Als ich damit fertig bin, gucke ich wieder nach oben, mit einem Kleinmädchenblick, der ausdrücken soll: »Guck mal, Mama, hab ich ganz alleine gemacht!«
    Aber Margrets Kopf ist gar nicht mehr am Fenster.
    Ich haste zum Eingang und meine, das Fahrrad dämonisch lachen zu hören. Wenn ich nicht ganz bald etwas zwischen die Zähne bekomme, kann das noch ein recht interessanter Arbeitstag werden. Und die sind im Anker rar gesät.
    Anker – der Name ist schon zum Abgewöhnen, aber wahrscheinlich auch nicht schlechter oder besser gewählt als jeder andere Name. Aber hier übertreiben sie es gerne mit dem Wortwitz: Die Mannschaft muss trotz allgemeinem Anglizismen-verzicht neuerdings Crew genannt werden, weil sie zu sechzig Prozent aus Frauen besteht; die Jugendlichen heißen Jugendliche, weil sie nicht gestrandet sind. Und das dem Laden angeschlossene Café heißt Kommbüse. Ja, natürlich mit
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