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Der Fürst der Skorpione

Der Fürst der Skorpione

Titel: Der Fürst der Skorpione
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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AUFERSTANDEN
     
     
     
    Er wusste nicht genau, wie er gestorben war. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war die Farbe von Getreide. Die Käfer liefen durch ein Kornfeld. Es war ein großes Kornfeld, Quadratkilometer um Quadratkilometer groß. Er lag in der Kanzel unter dem Bauch des Käfers und träumte. Da unten, all das viele Korn. Wenn man bedachte, dass da früher nur Sand gewesen war. Stattdessen diese Fruchtbarkeit. »Kornkammer«, sagten sie immer in den Nachrichten. Und es stimmte genau. Manchmal kamen Funksprüche in seinen Kopf. Sie waren von geringer Wichtigkeit und zupften nur leicht an seinen Nerven. Positionsmeldungen, keine besonderen Vorkommnisse. Die Käfer liefen gemächlich, weil sie nur eine Patrouille waren. Und weil sie keinen allzu großen Schaden anrichten wollten. Sie vertrugen sich sehr viel besser mit der Landwirtschaft als Panzer. Käfer schonten das Getreide und arbeiteten gleichzeitig viel effektiver. »Die Sahara – Kornkammer Europas!«, hieß es immer. Man stampfte nicht wie ein Elefant durch die Kornkammer. Nur die Käfer durften fressen, so viel sie wollten, damit sie bei Kräften blieben.
    Der Raum, in dem sie saßen, war kahl, nicht einmal Regale oder Plakate gab es, nur ihn selbst, den Entlassungsoffizier, zwei Stühle und einen Tisch. Das Licht kam von allen Seiten. Der Entlassungsoffizier trug eine EuroForce-Uniform der Heimatfront, mit einem Schildemblem an der Brust, die Schulterklappen zierte ein silberner Stern. Er tippte auf der berührungsempfindlichen Platte des Datentischs herum. Er schien Björns Akte nicht zu finden. Dieser Mann würde ihn aus der Armee entlassen. Ihm konnte er alle Fragen im Zusammenhang mit seiner neuen Aufgabe stellen. Björn formulierte die Frage gut in seinem Kopf vor. Er hatte gelernt, dass das hilfreich sein konnte.
    »Was soll ich meinem Schützling über meinen Tod sagen?« Der Entlassungsoffizier blickte auf. »Einen Moment, bin gleich so weit«, sagte er. Dann suchte er wieder nach Björns Akte.
     
     
    Natürlich durfte er nicht träumen. In seinem Essen waren Sachen, die ihn am Träumen hindern sollten. Der Wiegeschritt und das wogende Korn lullten ihn trotzdem ein. Der Himmel war bedeckt, der Käfer warf dennoch einen Schatten, verschwommen an den Rändern, dunkler in der Mitte, wo das Korn dunkelbeige war. Alles schien in Ordnung, er fühlte sich sicher.
    Dann starb er. Es war wohl eine Mine. Eine, die springt. Er bemerkte nichts von dem Angriff. Nur diesen plötzlichen, weißglühend aufstrahlenden Todesschmerz würde er nie vergessen. Die Explosion hatte ihn sicher nicht zu sehr zerfetzt, denn sonst wäre er nicht wiedererweckt worden. Die Ärzte konnten zwar auch die ganz Zerfetzten wiedererwecken, wenn mindestens 85 % der Körpermasse erhalten blieb. Aber es lohnte sich nicht. Das Verfahren wurde dann zu teuer. Die Wiedererweckung war daher eine Gnade, die nicht allen zuteil wurde.
    Das Gesicht des Entlassungsoffiziers hellte sich auf. Offenbar war er fündig geworden. Er tippte mit dem Zeigefinger ein paar Punkte in der Akte an, hackte einen kurzen Text in ein Datenfeld und schloss das Dokument. Der Schirm erlosch, die Tischoberfläche sah jetzt wieder aus, als sei sie aus Holz. »Tja dann«, meinte er lächelnd. »Alles Gute in deinem neuen Leben.« Er stand auf.
    Björn musste schnell denken. Er beschloss, seine Frage von vorhin einfach zu wiederholen.
    »Aber was sage ich dem Schützling über meinen Tod?«
    »Da mach dir mal keine Sorgen. Du sagst einfach gar nichts. Denk dran, du bist die Vaterfigur, du entscheidest, wo es langgeht. Und Anweisungen zu den wichtigsten Themen findest du im Grünen Buch.« Er stand auf und begab sich in Habachtstellung.
    Björn fand die Antwort des Offiziers plausibel. Er erhob sich ebenfalls. Dann salutierten sie beide.
    Es war wie bei einem Loch im Zahn. Man weiß, man macht es nicht besser, aber man muss immer wieder mit der Zunge hin. So tastete er immer wieder nach den Schnittstellen für die Käferganglien an seinem Hinterkopf. Sie waren inzwischen verheilt. Das kam vom Wiedererweckungsprozess, er heilte alle Wunden, und medizinisch gesehen waren die Schnittstellen Wunden. Björn hatte Phantomschmerzen und Sehnsucht nach den Käferganglien. Er würde nie mehr Kanonier sein. Ein Käfer hätte ihn in seinem Zustand ja gar nicht akzeptiert. Er hätte ihn ganz neu besiedeln müssen, die Schnittstellen an seinem Kopf hätten neu angelegt werden müssen, allein das hätte Monate gedauert.
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