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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken
Autoren: Katinka Buddenkotte
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›Ballerspiel‹ gesagt? Voll peinlich, echt.«
    Er schüttelt den Kopf und erschießt ein Dutzend Terroristen mit einer Panzerfaust, was ihm offenbar ein Extra-Leben beschert. Ich werde richtig wütend. Bis zu diesem Level habe ich es bisher nie geschafft. Also muss ich den Jugendlichen auf einer Ebene treffen, auf der ich ihm überlegen bin – der pädagogischen. Ich stelle mich neben Ludi und drücke den verbotenen Knopf am Rechner. Der Bildschirm vor Ludi wird schwarz. Für jemanden, der es bis zum virtuellen General der US Marines geschafft hat, ist Ludis Reaktionszeit erstaunlich lang. Es dauert eine Schrecksekunde, bis er mich anschreit: »Ey, Doki, bist du gestört, oder was? So gehen die Computer kaputt, das sage ich Margret, echt, ich sage ihr das!«
    Er springt vom Stuhl auf, sieht mich an und – lacht schallend: »Ha, Doki, willste dir doch noch einen aufreißen, oder hast du ’nen Zweitjob auf dem Straßenstrich angenommen? Geiles Outfit, echt …«
    In solchen Momenten geschieht immer etwas – in mir. Man hört ja oft von Leuten, die nach einer Nahtoderfahrung berichten, dass ihr gesamtes Leben im Schnelldurchlauf an ihnen vorüberlief in dem Augenblick, in dem sie sicher waren, zu sterben. Wenn ich spüre, dass meine Karriere in Lebensgefahr ist, läuft mein gesamtes Studium im Zeitraffer durch meinen Kopf. Es ertönen die Schlüsselsätze aus den Seminaren und den Praktika, die goldenen Regeln wie: »Man muss sich abgrenzen«, »Immer die Kontrolle behalten«, oder auch »Bei Konflikten stets die Ruhe bewahren und zuhören, die Situation nie eskalieren lassen«.
    Also halte ich mich davor zurück, Ludolf Schwenke-Großmann am Schlafittchen zu packen, um ihn aus dem Anker zu werfen. Ich nutze auch nicht mein Wissen über seine Biografie, um ihn psychologisch fertigzumachen, sondern greife nur nach seiner Hand und sage: »Komm, Ludi, ist gut jetzt. Lass uns eine rauchen gehen.«
    Ludi grinst: »Dachte, du fragst nie.«
    Er legt seinen Arm um meine Taille, und wir beide hüpfen die Treppen hinab, raus in den Hinterhof, denn, so Ludi: »Ey, Doki, auf der Straße lass ich mich nicht mit dir blicken, sonst denken die Leute noch, ich wär’ dein Zuhälter!«
    Ich sauge Teer, Nikotin und hundert andere Zusatzgiftstoffe ein und bin erleichtert, dass ich wieder einmal eine heikle Situation meistern konnte. Der zu betreuende Minderjährige lehnt entspannt neben mir an der Hauswand, er bläst den Rauch brav in die Kellerfenster hinein, damit Margret die verräterischen Wölkchen nicht sehen kann, falls sie durch das Hinterzimmer ihres Büros zufällig auf den Innenhof schaut.
    Ludi kann ein Rabenaas sein, aber wenn es drauf ankommt, handelt er instinktiv richtig. Und ganz im Vertrauen: Wenn Ludi nur Unfug anstellen würde, würde ich ihn immer noch gernhaben, und wenn wir ganz ehrlich sind, könnte der Anker gar nicht ohne ihn. Denn Ludi ist unser geschummelter Ausländeranteil. Er ist als Baby aus Korea adoptiert worden, und Gott allein weiß, was das Ehepaar Schwenke-Großmann geritten hat, das arme Ding »Ludolf« zu nennen. Natürlich wurde er dadurch schon im Kindergarten zum Gespött der anderen, und eine der Erzieherinnen dachte tatsächlich bis zu seiner Einschulung, der Junge hieße »Rudolf«, könne aber dank seiner »asiatischen Vorbelastung« den Buchstaben »R« nicht aussprechen. Umso erstaunlicher, dass Ludi in den Anker kommt, um sich freiwillig weiter von sogenannten Pädagogen betreuen zu lassen, aber wenn man ihn besser kennenlernt, weiß man, warum: Hier kann man umsonst Kickern und Tee trinken, außerdem finden die Mädels ihn süß. Alle Mädels, die Sozialarbeiterinnen eingeschlossen. Und Ludi weiß um seine Herzensbrecherqualitäten. Jetzt gerade zieht er seine Johnny-Depp-Nummer ab, stellt den Kragen seiner Lederjacke hoch und schenkt mir den Blick, der Praktikantinnen dazu bringt, Computerräume aufzuschließen: »Doki, sag mal ehrlich«, hebt mein indirekter, fünfzehnjähriger Arbeitgeber nun an, »wenn ich zehn Jahre älter wäre, dann hätte ich doch eine Chance bei dir, oder?«
    Ich schüttle energisch den Kopf, um so mein Lächeln zu verwischen: »Mindestens zwölf Jahre älter, und zwanzig Zentimeter größer müsstest du auch sein.«
    Bevor Ludi mich nach dieser Steilvorlage unterbrechen kann (»Ey, Doki, ich hab’ locker zwanzig Zentimeter«), führe ich weiter aus, warum es nie etwas zwischen mir und meinem Schutzbefohlenen werden wird: »Außerdem solltest du jede
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