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Vali

Vali

Titel: Vali
Autoren: Yvonne Weiß
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Kapitel 1
     
    „Einen Kaffee to go, grande“, Sarah sah dem Angestellten dabei zu, wie er im Schneckentempo einen Pappbecher auf der Monsterkaffeemaschine platzierte, und einen Knopf drückte. Ihr Blick schwenkte kurz über die Auslagen in der kleinen Theke, und blieb an einem himmlisch aussehenden Schokocroissant kleben. Sie geriet für eine Sekunde in Versuchung. Das Teil sah richtig lecker aus, goldbraun mit einer alles andere als dezenten Schokoladenschicht. Esther hätte nicht lange überlegt und zugeschlagen, „Frau muss sich nehmen, was sich ihr bietet.“ Hätte sie in ihrer, von ihr geliebten, Doppeldeutigkeit gesagt und sich schlicht ins kulinarische Vergnügen gestürzt.
    „Drei fuffzig, sonst noch`n Wunsch?“ - Gott der Typ schien sogar beim Sprechen mehr schlafend als wach. „Nein, das wäre alles, danke.“ Sarah schob einen Fünfer über den Tresen, und schnappte sich Wechselgeld und Kaffee.
    Zum Mitarbeiter des Monats würde es für diesen Typ dieses Mal auch nicht reichen, dachte sie auf dem Weg nach draußen.
    Würde es für sie reichen? Sie hatte schon länger keinen Artikel mehr verfasst, und ihr Bankkonto hatte definitiv schon besser ausgesehen.
    „Du musst wieder anfangen zu arbeiten, Mädchen. Die Schonfrist läuft aus.“, hatte ihr Redakteur beim letzten Telefonat gesagt. „Bei allem Verständnis für deine schwierige Situation, aber wenn du nicht bald etwas ablieferst, dann kann ich deine Stelle nicht länger offen halten. Hier sind mehrere Ausgrabungen am Laufen und der Chef will einen Bericht darüber – von dir.“
    „Warum von mir?“ hatte sie noch gefragt, aber jeder Anflug von Widerstand wurde im Keim erstickt.
    „Entweder du machst das Ding, oder du bist raus.“ Danach war das Telefonat beendet worden. Sie hatte lange noch den Hörer angestarrt. Eine halbe Stunde später waren ihre Instruktionen per E-Mail eingetroffen.
    Eigentlich wollte sie noch nicht arbeiten, sie wollte sich in ihrer Wohnung verkriechen, die Decke über den Kopf ziehen und die Welt aussperren.
    Esther war weg. Jetzt war nur noch sie übrig.
    Sie blinzelte gegen Tränen an, und bahnte sich ihren Weg durch die Menschenmenge, die sich durch die Einkaufsstrasse schlängelte.
    Ihr Ziel war der Buchladen, der sich zwischen einem Juwelier und einer Nordseefiliale, in die Fassade von eilig errichteten Nachkriegsbauten quetschte.
    Architektonisch anspruchslos, und um es auf den Punkt zu bringen grottenhässlich.
    Ein Grund mehr für die Stadtplaner, die in jüngster Zeit damit begonnen hatten, die Sünden der Vergangenheit nach und nach auszumerzen. Es war ein kläglicher Versuch, dass Stadtbild mit Neubauten aufzuhübschen.
    Im Zuge dieser Neubauaktionen waren bei einer Baustelle alte Stadtschichten aufgetaucht, die nun medienträchtig vermarktet werden sollten. Tourismus und Co. sollten profitieren von der sensationellen Entdeckung einiger Fragmente der alten Stadtmauer, und eines Gräberfeldes.
    Als hätte Sarah in letzter Zeit nicht genug mit Friedhöfen zu tun gehabt.
    Im Grunde, war sie genauso motiviert wie der Kaffeemensch im Schokocroissantladen, aber es half nichts. Miete, Strom und Wasser wollten bezahlt werden. Irgendwann musste sie ja weitermachen, irgendwie.
    “Na los Sarah, komm aus dem Quark“ murmelte sie sich selbst zu, als sie den Buchladen erreichte. Sie sammelte sich, drückte den Rücken durch und schob die Schultern etwas nach hinten. Ihre professionelle Maske war schnell angelegt.
    Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen, und einem sehr interessiertem Blick betrat sie den Laden.
    „Ach du Sch…“, sie unterbrach schnell ihren überraschten Ausruf.
    Das Ding war brechend voll. Vom Boden bis zum Dach, in jeder noch so kleinen Nische Bücher, Bücher und noch mehr Bücher. Okay, es war schließlich ein Buchladen, aber die schiere Menge an bedrucktem Papier war atemberaubend.
    Auf den ersten Blick stand zweifelsfrei fest, dass es sich hier nicht um einen der Läden handelte, in denen man neben den ganzen aktuellen Bestsellern, tausend verschiedene Diätbücher und Motivationsphrasengeschenke bekam.
    Nein dieser Laden war ausgerichtet auf Antiquitäten, und hatte die Aura von Olivanders. Sarah hatte den Eindruck sie müsste nur am richtigen Buch ziehen, und würde eine Tür zur nächsten magischen Dimension öffnen.
    Mit großen Augen nahm sie die Massen in sich auf. Große schwere Ledereinbände mit altdeutschen Lettern auf dem Buchrücken wechselten sich ab mit kleinen zum Teil
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