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Jenseits der Eisenberge (German Edition)

Jenseits der Eisenberge (German Edition)

Titel: Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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Prolog
     
    Er zögerte. Alles in ihm wehrte sich dagegen, in dieses finstere Verlies hinabzusteigen. Doch es gab keine andere Möglichkeit. Der Priester vor ihm winkte ungeduldig, hastete dann weiter die Steintreppe hinunter. Er folgte ihm langsamer. Noch immer war er stark, ein Krieger, der sein Leben lang Geist und Körper geformt hatte. In diesem Augenblick fühlte er sich alt, als wäre die Last all der vielen Jahre, die er bereits gesehen hatte, mit einem Schlag auf ihn niedergegangen.
    Der dumpfe, feucht-modrige Geruch, der jedem Kerker anhaftete, wehte ihm entgegen, als er tiefer stieg. Er spürte den schimmeligen Belag an den Wänden unter seinen Fingern, doch das musste er hinnehmen; er musste sich abstützen, wollte er diesen Weg bis zu seinem Ende gehen.
    „Beeilt Euch!“, zischte der Priester wütend, das Gesicht verzerrt vor innerer Anspannung.
    Beide Männer fuhren zusammen, als sie einen fernen Schrei hörten.
    „Nun eilt Euch!“, befahl der Priester noch einmal, diesmal etwas sanfter, und lief dann wieder voraus.
    Er blickte kurz zurück. Noch konnte er fliehen. Noch war es nicht zu spät.
    Aber das durfte und wollte er nicht. In den unzähligen Schlachten, die er geführt hatte, war er kein einziges Mal fortgelaufen. Vor keinem Feind hatte er sich gebeugt, egal wie groß die Angst gewesen sein mochte. Mit zusammengebissenen Zähnen betrat er den düsteren Gang, vermied es dabei sich auszumalen, was hinter den schweren, eisenbeschlagenen Türen der Verliese liegen mochte, die sich hier aneinanderreihten. Wie viele ungehörte Schreie bereits an diesen Mauern zerschellt waren.
    „Hierher!“ Der Priester packte ihn unvermittelt am Arm und zog ihn durch eine Tür, wo Augenblicke zuvor nichts als nackte Felswand gewesen zu sein schien.
    Er musste sich ducken, der Geheimgang war nicht für seine mächtige Gestalt gebaut worden. Der Priester befand sich nun hinter ihm und verschloss die verborgene Tür. Völlige Dunkelheit umgab sie, was sein Herz stärker zum Klopfen brachte, als er sich selbst eingestehen wollte. Unsicher tastete er über roh behauenes Gestein, bis der Gang sich endlich weitete und er den Raum betrat, von dem der Priester zuvor gesprochen hatte. Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und wartete, bis der Geweihte eine Laterne entzündete. Schwaches Licht erhellte die Kammer, die kaum groß genug für sie beide war; dazu vollkommen leer, abgesehen von einem Schemel an der Stirnwand.
    „Setzt Euch, und kein Laut, sonst sind wir alle verloren!“, wisperte der Priester. Einen Moment lang wünschte er diesem Geweihten die blaue Robe zu entreißen und solange auf ihn einzuprügeln, bis er niemals wieder auf dieser Welt einen Laut von sich geben würde. Doch er wusste, der Priester war nicht sein Feind.
    Die wenigen Schritte bis zu dem Schemel schienen ihm so schwer, als müsste er zu einem Galgen hinaufsteigen. Als er endlich saß, presste er die Stirn gegen die Wand und blickte durch die Sehschlitze, die ihm ungehinderte Sicht in die Kerkerzelle gewährten, die hinter dieser Mauer lag, lediglich von einer fast abgebrannten Fackel erhellt.
    Das Ritual hatte noch nicht begonnen, stellte er sofort fest. Wie sehr hatte er gewünscht, zu spät zu kommen, um es nicht mit ansehen zu müssen! Nun gab es kein Zurück mehr. Unter keinen Umständen würde er aufstehen, bevor es vorbei war, und wenn das Schloss um ihn herum einstürzen sollte!
    Der Gefangene lag keinen halben Schritt von ihm entfernt auf der nackten Erde. Er war bewusstlos, man hatte ihn brutal geschlagen. Nur die mühsamen Atemzüge bewiesen, dass er noch lebte.
    Er biss sich auf die Fingerknöchel, um nicht laut über den Anblick dieser elenden Gestalt zu schreien; die Wunden seines entblößten Leibs waren unversorgt, und, wie er genau wusste, hatte man dem Gefangenen in den vier Tagen seit seiner Verhaftung kein Essen und nur wenig Wasser erhalten. Er rührte sich nicht, als sich die Kerkertür öffnete und vier schemenhafte Schatten hereindrängten. Fackeln wurden entzündet und an den Wänden verteilt und beleuchteten die Roben der Geweihten, die nach dem Gefangenen griffen und ihn gemeinsam auf das Holzpodest legten, das sich in der Mitte des Verlieses befand. Das lange, verfilzte schwarze Haar glitt vom Gesicht des Besinnungslosen, als er wenig behutsam abgelegt, dann an Hand- und Fußgelenken gefesselt wurde. Der Gefangene begann sich zu regen; er unterdrückte einmal mehr einen verzweifelten Schrei beim
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