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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß
Autoren: Stefan Wolf
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Seitenwand des Lastzugs hinauf. Nur ein halber Meter trennte sie von dem Ungetüm.
Die Reifen verfehlten ihren Drahtesel um eine Handbreite.
    War da ein Schrei? Drüben auf der
anderen Seite bei Tanja und Karl? Klirrte Metall?
    Einen Augenblick später war der Spuk
vorbei. Der Lastzug verschwand hinter den Bäumen der nächsten Kurve.
    Entsetzt blickte Gaby zu ihren Freunden
hinüber.
    Tanja lag in den Büschen. Schmerz
verzerrte ihr Gesicht. Sie hielt sich den Arm.
    Karl, der sich wie Gaby mit einem
beherzten Hechtsprung gerettet hatte, wurde von Zweigen umklammert. Aber er
befreite sich rasch, faßte Tanja unter den Achseln und zog sie hoch.
    „Bist du verletzt?“ rief Gaby.
    Sie sprang auf und lief hinüber.
    Oskar kroch unter dem Rad hervor und
schüttelte den Kopf, als hätte er Wasser in den Ohren.
    „Er hat mich gestreift.“
    Tanja rieb ihren Arm, streckte ihn aus,
beugte ihn und glättete ihre Miene. Offenbar ließ der Schmerz nach.
    „Er hat mich tatsächlich gestreift!
Dieser Amokfahrer! Ist der blind oder plemplem? Der mußte doch sehen, daß wir
auf der Straße sind. Zum Glück hat er mich nur wie ein Lufthauch gestreift.
Vielleicht war’s auch nur ein lockeres Stück der Plane. Aber mein Rad! Das muß
er mir ersetzen!“
    Erst jetzt wandten sie ihre
Aufmerksamkeit Tanjas Drahtesel zu.
    Was von ihm übrig war, lag auf der
Fahrbahn: ein unförmiges Gebilde aus lackiertem Rohr, Blech und Speichen.
    Der Lastzug hatte das funkelndschöne
Stahlroß unter sich zermalmt.
    „Ich schnall ab!“ meinte Karl. „Wo sind
wir denn hier? Im Urwald? Ein wildgewordener Fahrer benutzt seinen Lastzug als
Waffe. Vielleicht will er den Wald kaputtmachen. Genügt ihm das Baumsterben
nicht? Fährt der jetzt zum Seehotel? Oder in Richtung Gunzhausen? Ist es für
solche Brummer überhaupt erlaubt, hier zu rollen?“
    „Ist es nicht“, erwiderte Tanja. „Auf
die Beschilderung habe ich zwar nicht geachtet. Aber ich weiß es von Jan.
Anlieger dürfen hier fahren — und Hotelgäste. Sonst nur Waldarbeiter und
Forstleute. Lastzüge schon gar nicht. Auch für den öffentlichen Verkehr nach
Gunzhausen ist die Straße gesperrt. Früher war das anders. Aber als man dieses
Gebiet zum Naturpark erhoben hat, wurden die Beschränkungen eingeführt.“
    „Was richtig ist“, sagte Karl. „Wie
geht’s deinem Arm?“
    „Gebrochen ist nichts. Aber ich kriege
sicherlich blaue Flecke.“
    „Laß mal sehen“, meinte Gaby. „Am
Ellbogen ist die Haut abgeschürft.“
    „Es brennt. Aber das halte ich aus.“
    „Du setzt dich bei mir auf den
Gepäckträger“, sagte Karl, „und ich bringe dich nach Hause.“
    Aber da kam er schlecht an.
    „Wie bitte?“ rief Tanja. „Nach Hause?
Wegen dem Kratzer? Bin ich denn aus Zucker? Nein, Karl! Wir fahren zum Seehotel
und machen die Grillparty. Es genügt völlig, wenn ich meine Eltern anrufe.
Deswegen!“
    Sie wies auf die Reste ihres Fahrrades.
    Sie sieht so zart aus, dachte Gaby.
Aber sie ist zäh.
    „Diesen rücksichtslosen Kerl“, sagte
sie, „müssen wir zur Verantwortung ziehen. Für seine Fahrweise gibt es keine
Entschuldigung. Leider habe ich nicht auf das Kennzeichen geachtet. Ich war wie
gelähmt vor Schreck.“
    „Also, mit dem Kennzeichen“, meinte
Karl, „kann ich nicht dienen. Aber die Firmen-Beschriftung an der Beifahrertür
— die habe ich gelesen. Der Wagen gehört zu einer Fernverkehr-Spedition in der
Stadt: Hubert Kambärt und Co.“
    „Kenne ich“, nickte Gaby. „Na, der kann
was erleben! Das war mehr als Verkehrsgefährdung. Das war ein Mordversuch.“
    Sie überprüften ihr Outfit (Kleidung).
    Alle trugen Jeans. Denen konnten die
Dornen der Büsche nicht viel anhaben.
    Aber aus Gabys himmelblauem Pullover
hingen Fäden, und Tanjas roter Pulli sah noch schlimmer aus.
    „Wird eine hohe Rechnung“, sagte Tanja,
„außerdem fordere ich Schmerzensgeld. Ob dein Gepäckträger mich aushält, Karl?“
    Er hielt. Sie fuhren weiter. Karl mußte
jetzt erheblich buckeln. Die Geschwindigkeit sank.
    Gaby hatte ihren Vierbeiner untersucht.
An seiner schwarzen Hundenase fehlte ein kleines Stück Haut. Aber der rosige
Fleck schien nicht zu schmerzen. Oskar war munter.
    Sie kamen an den Einmündungen mehrerer
Wege und Forststraßen vorbei.
    Waldschlepper-Fahrzeuge (zum
Transport von Schicht- und Schwachholz) sowie Langholzwagen hatten tiefe
Fahrrinnen gegraben.
    Niemand begegnete ihnen, weder
Fahrzeuge noch Fußgänger.
    Karl schwitzte. Aber er hielt sich
mannhaft.
    Er ist
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