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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß
Autoren: Stefan Wolf
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Dann laß mich
fahren.“
    „Wir sind ja gleich da. Ich halte
durch.“
    „Dort ist die Abzweigung.“
    „Jaja“, knurrte Carlo. „Dort ist sie.“
    Werdy stieß den Atem über die Zähne.
Manchmal hätte er ihn prügeln können, den Makkaroni, wie er Carlo
geringschätzig nannte.
    Werdy war mittelgroß und plump. Sein
rosiges Gesicht wirkte freundlich, wenn man nicht zu genau hinsah. Er hatte abstehende
Ohren und blonde Haare wie Borsten.
    Links zweigte eine sandige Forststraße
ab. Grashalme standen hoch. Unkraut gedieh an den Rändern. Man mußte kein
Fährtensucher sein, um zu sehen, daß die Straße wenig genutzt wurde.
    Sie führte etwa 600 Meter durch dichten
Wald und endete am Schwarzen Fluß.
    Dort stand die Mordmühle.
    Sie hieß tatsächlich so: eine
Wassermühle, die seit langem nicht mehr in Betrieb war.
    Den letzten Müller, einen alten
Sonderling, hatten entsprungene Häftlinge umgebracht: ein Verbrechen, das
damals die Öffentlichkeit erschütterte.
    Man hatte die Täter gefaßt. Ein
Nachfolger für die Mühle fand sich nicht. Da sie Privatbesitz war und der
Müller keine Erben hatte, blieb sie sich selbst überlassen. Sie geriet in
Vergessenheit und verfiel.
    Um als Abenteuerspielplatz für Kinder
herzuhalten — dazu war die Entfernung zur Stadt zu groß und die Strecke bis
Gunzhausen noch größer.
    Hinzu kam ein Umstand, der die Mühle
zum zweitenmal in die Schlagzeilen brachte:
    Ein gewissenloser Arzneimittel-Fabrikant,
der stadtnah seinen Betrieb hatte, wußte nicht, wohin mit dem Giftmüll, der bei
der Produktion anfiel. Die Kosten für ordnungsgemäße Beseitigung waren ihm zu
hoch. Und da er die Mordmühle für einen gemiedenen Ort hielt — womit er recht
hatte — , ließ er seinen Giftmüll dort eingraben.
    Das war vor acht Jahren gewesen. Im
letzten Herbst schnüffelten dort Pfadfinder herum und stießen auf einen
Giftbehälter, den anhaltende Regengüsse freigespült hatten.
    Eine große Untersuchung fand statt. Der
Umweltsünder wurde ermittelt. Einige Behälter hatten der Witterung nicht
standgehalten, sondern waren durchgerostet. Gefährliches Gift war in den Boden
eingedrungen, und die Gegend rund um die Mordmühle wurde abgesperrt.
    Jetzt mied man sie wirklich. Pilzsucher
und Waldarbeiter drehten ab, wenn sie in die Nähe gerieten.
    Gefahr bestünde nicht, hatte allerdings
ein Sprecher der Arzneimittel-Firma versichert, nicht mal für die Tiere des
Waldes. Denn der Giftstoff sei nur in unschädlicher Verdünnung in den Boden
gelangt.
    Das Gegenteil konnte nicht bewiesen
werden. Aber die Öffentlichkeit glaubte kein Wort. Man hielt es für
selbstmörderisch, sich in die Nähe der Mordmühle zu wagen.
    Deshalb hatte der Chef sie zum Versteck
bestimmt.
    Die Forststraße verengte sich. Zweige
peitschten die Flanken des Lastzuges.
    „Eigentlich sind wir bekloppt, hier mit
unserem Brummi zu fahren“, murmelte Werdy.
    „Was denn sonst? Hättest du die Kisten
auf der Schulter hergeschleppt?“
    „Wir hätten sie vor der Stadt umladen
können.“
    „Auf meine Honda? Oder in deinen Golf?
Acht Kisten von dem Gewicht? So ist es ein Abwasch. Wem sollen wir hier
begegnen? Und wenn uns ein Waidmann über den Weg läuft, haben wir uns eben
verfahren. Irren ist menschlich.“
    Werdy lutschte an der Unterlippe.
    „Achtung!“ knurrte er dann. „Langsam,
Carlo! Sonst landen wir im Bach.“
    Der Schwarze Fluß, den er als Bach
bezeichnete, hatte hier immerhin eine Breite von zehn Metern. Aber das — nur
halbmetertiefe — Wasser floß träge.
    Man fragte sich, wie das
unterschlächtige Mühlrad es damals in Gang gebracht hatte.
    Die Mühle war dicht ans Ufer gebaut:
ein hölzernes Gebäude mit vierfach gedecktem Schindeldach. So was hält im
allgemeinen 70 Jahre. Aber nun hatte der Verfall eingesetzt.
    Freilich — fast alles, was die
Wassermühle ausmachte, war noch vorhanden: die geraden Schaufeln am Rad,
Mühlwehr, Gerinne und Wasserüberfall. Lediglich die Achse des Mühlrades war
gebrochen. Deshalb drehte sich nichts. Es lehnte an der Außenwand und war fast
zur Hälfte eingesunken in den moorhaltigen Grund des Flusses.
    Eine Lichtung hatte die Mühle umgeben.
Jetzt holte sich der Wald die Rodung zurück. Sträucher hatte er als Vorhut
geschickt. Dazwischen wurzelten meterhohe Fichten, Ebereschen und Ahorn. Sie
gediehen. Offenbar enthielt die Behauptung des Arzneimittel-Sprechers mehrere
Körnchen Wahrheit.
    Carlo hielt.
    Der Motor verstummte. Stille breitete
sich aus.
    Durchs
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