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Jeder kann mal Robin sein

Jeder kann mal Robin sein

Titel: Jeder kann mal Robin sein
Autoren: Lotte Betke
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Oma kommt

    »Tine, der Teekessel pfeift. Gieß mal Wasser in die Kanne! Tee hab ich schon hineingetan. Die drei müssen jeden Augenblick kommen.«
    Gisela Koch, eine karierte Reisedecke über dem Arm, lief den Flur entlang und prallte mit ihrer Tochter zusammen, die gerade aus dem Wohnzimmer trat. »He, paß doch auf!«
    »Wenn du so ’n Tempo drauf hast.«
    »Muß ich wohl. Bei dem Streß! In zwei Stunden geht unser Flugzeug, und ich muß noch Omas Bett beziehen und aufschreiben, wann du Flötenstunde hast und wann Max’ Kindergarten anfängt und wann du jeweils aus der Schule kommst, und...«
    Tine hörte nicht zu. Mindestens dreimal hatte die Mutter ihr das alles schon in die Ohren geblasen. Außerdem hatte sie wahrhaftig andere Sorgen. Sie lief in die Küche, goß Wasser in die Teekanne, ging zum Fenster, wobei sie im Vorbeigehen eine kleine saure Gurke von der Aufschnittplatte fischte, und spähte auf den Hof.
    Es dämmerte schon, sie mußte die Lider zusammenkneifen, um zu erkennen, was sich draußen tat. Hof A war leer, sehr günstig. Jenseits des Lattenzauns auf Hof B trieben sich noch zwei Jungen herum, natürlich der rothaarige Lockenkopf mit den ausgefransten Jeans und der kleine Dunkle, der aussah wie ein Italiener. Um den war’s eigentlich schade, paßte viel besser auf Hof A. Hatte so schöne schwarze Haare. Tine trommelte mit den Fingerspitzen gegen die Scheiben. Hoffentlich waren die beiden Jungen nachher weg, wenn sie mit Max runter mußte. Hoffentlich klappte es überhaupt! War ja klasse, daß Oma kam, aber mußte es gerade heute sein? Wenn sie nun nicht erlaubte, daß sie später im Dunkeln noch runtergingen? Aber es war die letzte Gelegenheit vor der Prüfung.
    »Was stehst du hier und guckst Löcher in die Luft?« Gisela kam und machte Licht. »Und warum hast du das Stövchen nicht angezündet? Der Tee wird ja kalt.«
    Tine verzog den Mund, Gisa war mal wieder nervös. Sie zündete die Kerze an, stellte die Teekanne auf das Stövchen, schielte wieder zum Fenster.
    »Nicht wahr, Tine«, Gisela lief in der Küche hin und her, »du hilfst Oma, solange Papa und ich in Amerika sind. Du weißt ja, sie lebt ganz einsam da oben auf der Hallig, und hier in der Stadt...«
    Tine hörte nur mit halbem Ohr zu. Jetzt war auch auf Hof B niemand mehr zu sehen, wenn es so blieb ... Sie fuhr zusammen, dreimaliges Klingeln. Papas Zeichen.
    Tine lief zur Tür, riß sie auf und fiel der Großmutter um den Hals.
    Oma Teichmann gab Tine einen Kuß. Gisela zog ihre Mutter auf den Flur. »Schön, daß du da bist, Mutter, so eine lange Reise.«
    »Halb so schlimm, ich fahr gern Eisenbahn!«
    Peter Koch nahm Oma Mantel und Hut ab.
    Oma schnupperte. »Hier riecht’s aber gut!«
    »Mama hat extra für dich Tomatensuppe gekocht.« Max, Tines kleiner Bruder, der den Vater zum Bahnhof begleitet hatte, schob die Großmutter an den gedeckten Tisch.
    Der Vater sah alle Augenblick auf seine Armbanduhr, die Mutter rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. Die einzige, die mit Genuß aß, war Oma.
    »Entschuldigung, Mutter!« Gisela sprang auf. »Ich muß schnell nachschauen, wo ich die Liste gelassen habe. Ich hab dir alles aufgeschrieben: die Telefonnummer von Tines Flötenlehrerin, den Laden, wo es biologisches Gemüse gibt, und ...«
    Tine schüttelte den Kopf. »Gisa, ich kann doch Oma alles sagen.«
    »Gisa?« Oma sah Tine fragend an. »Was soll denn das?«
    »Das Neueste.« Der Vater stand auf. »So nennt meine Tochter seit kurzem deine Tochter. Mama ist nicht mehr in. Papa auch nicht. Mich wollte sie Pit taufen. Aber ich bleibe bei Peter.«
    »Gisa! Sieh mal an. Klingt hübsch.«
    »Findest du?« Der Vater stand auf. »Entschuldige, ich kann nicht mehr essen. New York, schließlich ist es das erste Mal, daß Gisela und ich ...« Er riß die Küchentür auf. »Bist du fertig?«
    »Die Liste«, tönte es von draußen. »Wo hab ich bloß die Liste gelassen!«
    »Nun hör bloß auf mit deiner Liste! Tschüs, macht’s gut, ihr drei. In ein paar Tagen rufen wir euch von New York an.«
    Er küßte die Kinder und hakte seine Frau unter. »Nun komm doch endlich, Gisela!«
    Oma, Tine und Max standen auf dem Wohnzimmerbalkon und winkten. Gerade stieg Gisela unten ins Taxi. Bei der Abfahrt streckten die Eltern links und rechts die Arme aus den herabgelassenen Autofenstern und wedelten mit den Händen in der Luft herum.
    »Weg«, sagte Max, als der Wagen um die Ecke verschwunden war. Irgendwo in der Magengegend verspürte er ein
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