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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß
Autoren: Stefan Wolf
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gemütlich wird“, sagte Tanja, „muß
ich erst mal meine Eltern anrufen. Hach, das wird was! Sie sind immer gleich
außer sich vor Sorge. Ist ja wahnsinnig lieb. Aber ich fühle mich jedesmal, als
wäre ich in Seidenpapier eingewickelt.“
    „Sie haben ja nur dich“, lachte Gaby. „Du
bist ihre Einzige.“
    „Und du? Bist doch auch ein Einzelkind.“
    „Einzelkinder sind wir alle“, meinte
Karl, „Timm und Willi eingeschlossen. Und manche Eltern zeigen nun mal ihre
Liebe mit übertriebener Fürsorge. Das muß man verkraften. Gleichgültigkeit wäre
schlimmer.“
    „Mir geht’s wie dir“, sagte Jan zu
seiner Freundin. „Onkel Heinz ist in Ordnung. Aber er nimmt es zu genau. Weil
er bei mir Vater und Mutter vertritt, hat er einen Horror davor, bei
meiner Erziehung was falsch zu machen. Ich sag ihm immer wieder: Onkel Heinz,
ich bin 16. Bei mir ist alles gelaufen. Aber er spricht von seiner
Verantwortung. Er meint es gut. Am besten, man wird möglichst schnell 18. Dann
ist man für sich allein verantwortlich.“
    „Wir können noch soviel reden“, meinte
Tanja. „Ich muß jetzt meine Eltern anrufen. Gibt’s im Seehotel ein Telefon?“
    „Nein.“ Jan grinste. „Wenn wir Kontakt
mit der Außenwelt wünschen, geben wir Rauchsignale.“
    Gaby stellte ihr Rad an die Hauswand
und ließ Oskar von der Leine.
    Sofort lief er zum See hinunter und
tauchte eine Pfote ins Wasser. Nachdenklich beobachtete er dann die Wildenten.
Sie schwammen in sicherer Entfernung. Oskars Stummelschwanz wedelte.
    Auch Karl wollte sein Rad an die
Hauswand lehnen, und schob es deshalb an dem Porsche vorbei. Etwas zu dicht.
Ein Pedal berührte die hintere Stoßstange, genauer: deren Gummiwulst, der aus
jedem Anprall einen Weichprall machen sollte.
    Kein Kratzer entstand an dem
Sportwagen.
    Dennoch — die Berührung fand im
falschen Moment statt.
    „Paß auf! Verdammt noch mal!“ schrie
eine Männerstimme. „Willst du meinen Wagen ruinieren?“
    Sie hatten den Mann und seine
Begleiterin nicht bemerkt.
    Das Paar war um die Hausecke gekommen.
Jetzt schoß dem Porsche-Besitzer die Wut ins Gesicht.
    Er stürmte heran, ein großer, feister
Mensch mit rotblondem Kurzhaarschnitt. Er hatte ein grobes Gesicht mit viel
Fleisch am Hals und trug noble Sportklamotten.
    Für eine Sekunde schien es, er würde
Karl packen und beiseiteschleudern. Aber er beherrschte sich.
    Neben seinem Wagen sank er in die
Hocke. Mit vorgerecktem Schädel begann er, den Lack zu untersuchen.

     
    „Hab’s genau gesehen“, preßte er durch
die Zähne. „Bist mit deinem Rad gegen meinen Wagen gestoßen. Typisch für die
heutige Jugend: Rücksichtslos, wenn es um fremdes Eigentum geht.“
    „Ich habe die Stoßstange berührt“,
sagte Karl. „Nur die. Und versehentlich. Falls sie das nicht verträgt,
entschuldige ich mich gern bei ihr. Zerkratzt ist nichts.“
    „Und im übrigen“, rief Gaby, „ist die
heutige Jugend nicht mehr und noch weniger rücksichtslos als Jugend zu allen
Zeiten. Also bitte keine Verallgemeinerungen, die uns beleidigen.“
    „Da könnte ich dir aber was anderes
erzählen“, schaltete sich die Frau ein.
    Sie trug ein Spätsommer-Kostüm:
knallbunt wie ein tropischer Schmetterling. Für ihren zweifarbigen
Popperschnitt — dunkelbraun und gelb — war sie schon etwas zu alt. Aber älter
als 32 wurde ihresgleichen sowieso nicht. Jedenfalls hätte sie ein höheres
Alter nie zugegeben.
    Ihre grellgeschminkten Lippen hielten
eine Zigarette fest. Sie sprach, ohne sie aus dem Mund zu nehmen.
    „Ich weiß nicht“, sagte Gaby, „woher
Sie Ihre Erfahrungen beziehen. Ob von eigenen Kindern oder vom Hörensagen. Wir
sind jedenfalls nicht rücksichtslos. Und Ihrem schönen Auto ist kein Leid
geschehen. Es steht zufrieden auf seinen vier Reifen.“
    Karl grinste. Tanja lächelte. Nur Jan
mußte sich die Heiterkeit verbeißen.
    „Ehrlich, Herr Muhson“, wandte er sich
an Grobgesicht. „Nur die Stoßstange wurde berührt. Das hier sind meine Freunde.
Ich kann garantieren, daß sie rücksichtsvoll und ehrlich sind. Außerdem sind
wir alle fanatische Porsche-Fans“, fügte er schlau hinzu. „Keiner von uns würde
so einen Prachtschlitten ankratzen. Eher gäben wir den kleinen Finger her,
abgehackt.“
    Also, das unterschreibe ich nicht,
dachte Gaby. Aber ich protestiere (widerspreche) nur stumm. Mit der
Schmeichelmasche entwaffnet er den Widerling.
    In der Tat! Die Wut verzog sich aus
Muhsons Grobgesicht. Er murmelte etwas. Aber das klang
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