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Wo die letzten Menschen hausen

Wo die letzten Menschen hausen

Titel: Wo die letzten Menschen hausen
Autoren: Robert Chilson
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    1
     
Friedhof der Träume
     
    Abgezeichnet vor der Sonne am fernen Rand der Welt, schwamm die Stadt auf einem Meer aus Gold. Sie leuchtete wie eine riesige Rose, blaßrosa und perfekt. Kuppeln, Säulen und Türme erhoben sich aus der gewölbten Masse wie eingerollte, an den Außenrändern blasse Blütenblätter. Im Herzen der Blume waren sattere Farben, blutrot und rubinrot und rosa-violett, leuchtend von eingefangenem Sonnenlicht.
    Darüber wölbte sich der violett-blaue Himmel, ein Planet, eisgrell. Eine blaß-gelbe Korona stieg vom Rand der Welt auf, das verblassende Licht hob den goldenen Nebel heraus, in dem die große Stadt schwebte, im zunehmenden Zwielicht um so prächtiger erglühend. Von der Stadt bis zum Beobachter erstreckte sich über die goldene See ein breites Band von Königspurpurschatten, außen mit schwachen Streifen von Rosarot.
    Trebor zog die Brauen zusammen und blickte hinter sich.
    Reihe um Reihe stiegen die Berge und Hügel hinter ihm empor, gemeißelter, nackter Fels, von der untergehenden Sonne schroff beleuchtet. Ihm am nächsten waren die sanft abfallenden Hügel. Hinter ihnen erhob sich eine verwitterte Bergkette, gefleckt mit Grün. Er konnte nichts als die Kerbe in den abfallenden Hügeln sehen, durch die er herabgekommen war, und die Gipfel der Berge darüber.
    Nichts, niemand bewegte sich in all der Öde verwitterten Gesteins.
    Trebor wandte sich wieder der Stadt unter der sinkenden Sonne zu, und siehe! das Meer von goldenem Nebel war jetzt nur noch von zartestem Gelb, sein Königsband ein lebloses Grau, die Ko rona der Stadt nur ein blasses Nachglühen entlang dem Horizont. Nur die Stadt leuchtete noch mit all ihrer gewohnten Pracht, zog an sich das ganze verblassende Licht von Sonne und Himmel. Der Himmel darüber war Purpur, vergehend zu Schwarz, geschmückt mit Dutzenden von Sternjuwelen und einem anderen eisigen, in sich gekehrten Planeten.
    Trebor drängte sein Schanschid vorwärts. Das Tier schüttelte unwillig den schweren Schädel, stapfte voran, suchte sich stolpernd den letzten steilen Weg hinab zur Ebene. Am Fuß des Abhangs unter der Scharte erstreckte sich ein breites, trockenes Flußbett, das von den hinabgestürzten, vom Wasser geschliffenen Blöcken einer Obsidian-Brücke überspannt war. Dahinter lagen die riesigen, gekippten Pflasterblöcke einer uralten Straße. Dazwischen schlängelte sich ein Weg dahin, gelegentlich über einen dieser Blöcke hinwegführend.
    Der Nebel war Wasser, nicht Staub; trotz der Öffnung nach Westen hin kühlte die Ebene wegen ihrer Höhe rasch ab. Das Schanschid verfiel in sein stundenverzehrendes Schaukeln, wobei es stets nur zwei von seinen sechs Füßen gleichzeitig schwang. Die abfallenden Hügel blieben hinter ihm zurück, in der zunehmenden Dämmerung waren sie noch undeutlich sichtbar; das leuchtende Juwel einer Stadt zog ihn an. So oft Trebor von ihrer vergehenden Pracht fortsah, war er nahezu blind.
    Aber die Stadt zeigte kein einziges Licht. All ihr später Glanz war erborgt von der Sonne, starb mit der Sonne.
    In der Antiken Zunge, die im Tiefland von Iréné gesprochen wurde, hieß die Stadt Rhodrora. Als die Antike Zunge die Alte Zunge gewesen, hatte man sie Rhudaroralle genannt. Als die Alte Zunge nur als die Sprache der wilden Witingas bekannt gewesen, war die Stadt in der Muttersprache von Romplannan Ajassavalle genannt worden. Und davor war sie in der Sprache des Dritten Irenischen Reiches Ingavvalook gewesen. In der Zeit des Zweiten Irenischen Reiches war sie Russevalaja genannt worden. Für die Menschen des legendären Ersten Reiches war sie Tschailiana gewesen, und dort hatten die Goldenen Imperatoren auf ihrem Thron gesessen. Und alle diese Namen in allen diesen Sprachen, zurückreichend bis zum Morgengrauen der Welt, bedeuteten dasselbe: Alte Stadt. Denn Tschailiana, Russevalaja, Ingavvalook, Ajassavalle, Rhudaroralla, Rhodrora ist nicht bloß alt, es war schon alt, als es das erste Mal in die Geschichte eintrat. Die Jahre sind über die Stadt hinweggegangen wie die Sandkörnchen eines mächtigen Staubsturmes.
    Als Trebor sich der noch immer schwach rosarot leuchtenden Stadt näherte, wurden die Spuren dieser Jahre sogar im kalten Sternenlicht sichtbar. Hier waren Flecken, dort Risse in den Rosenquarzmauern, dahinter Löcher, Gebäude mit eingestürzten Dächern, Kolonnaden, aus denen Säulen fehlten, Zahnlücken gleich. Die Straßen waren begraben unter Tonnen von Erdreich – bis zur Höhe eines berittenen
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