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Um die Wurst (German Edition)

Um die Wurst (German Edition)

Titel: Um die Wurst (German Edition)
Autoren: Michael Moritz
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hysterischer Schrei riss Belledin aus seinen Gedanken. Silke Brenn war am Grab auf die Knie gefallen. Sie riss die Arme gen Himmel und schrie so laut, dass es sogar die Totenglocken schwer haben würden, dagegenzuhalten. Sofort waren Silkes Schwester Margit und der Pfarrer bei ihr, um sie vom Boden zu heben und tröstend beiseite zu führen. Die Umstehenden begannen zu tuscheln.
    Belledin zückte seinen Notizblock und protokollierte Silkes Zusammenbruch. Immerhin war sie die amtierende Weinkönigin der Gegend und stand kurz davor, zu heiraten. Da brach man doch nicht einfach so am Grab eines anderen Mannes zusammen.
    Er hatte noch nicht zu Ende geschrieben, da zog ihn Biggi am Arm. Sie wollte nun ebenfalls ans Grab. Belledin gehorchte und geleitete sie an die Stelle, an der Silke kurz zuvor niedergesunken war. Er würde später einige Fragen an sie zu richten haben. Jetzt hoffte er inständig, dass Biggi nicht auch so eine Szene veranstaltete. Aber sie hielt sich tapfer. Sie schnäuzte in ein frisches Papiertaschentuch, warf eine Schaufel Erde auf den Sarg und fragte sich kurz, ob sie nun wieder zunehmen würde.
    *
    Die Abzüge baumelten an Wäscheklammern und tropften ins Säurebad. Killian gefiel der Anblick: Er hatte die letzten vier Wochen damit verbracht, den andauernden Regen zu fotografieren, und jetzt plätscherte er sogar aus den Fotos heraus. Vielleicht sollte er davon ein Foto machen? Ein Foto vom Regenfoto, aus dem es heraustropfte? Vielleicht sollte er die Tropfen dann auch noch farblich nachbearbeiten? Dunkelrot? Ein Regen, der sich in Blut verwandelte, nachdem er fotografiert worden war? Roter Regen.
    Killian ließ die inneren Bilder und Phantasien zu, er wusste, dass es zur Bewältigung seiner Kriegstraumata gehörte. Er sah nun tatsächlich Blut aus den frisch abgezogenen Fotos tropfen. Das Plastikbecken färbte sich rot, gestaltete sich zu einem wilden Strudel, der Rohina mit sich in den Abgrund riss. Dann warf jemand Steine auf den Blutsee, und sie hüpften über das Rot, bis auch sie in der Lache ertranken. Killian erkannte den Werfer der Steine. Er war es selbst.
    Er riss sich von seinem verschwommenen Spiegelbild los, stieß die Tür der Dunkelkammer auf und rang nach Atem. Dann ließ er sich erschöpft auf sein barockes Sofa fallen und versuchte, seine Gedanken in andere Bahnen zu lenken.
    Er dachte an seine Tochter Swintha. Ob ihr Berlin gefiel? Er selbst hatte die Prüfung an der Hochschule der Künste damals ebenfalls bestanden, hatte das Studium dann aber bereits nach dem ersten Semester abgebrochen, weil ihm das Kunstgesülze über Fotografie zuwider gewesen war. Für Killian war Fotografie nicht das Festhalten des Moments, nicht das Einfrieren des Augenblicks, sondern die Entdeckung der Bewegung in der scheinbaren Ruhe. Und dafür hatte er in die Welt ziehen müssen. Dorthin, wo die Bewegung am wildesten tobte: in den Krieg. Und schon wieder waren seine Gedanken dort, wohin sie nicht sollten. Hinter den Linien seiner eigenen Fronten.
    Er setzte sich auf, sein Blick fiel auf eine Visitenkarte. Er nahm sie in die Hand und überlegte, ob er einen Termin vereinbaren sollte. Bärbel hatte ihm die Karte gegeben. Sie selbst war auch bei dem Typen in Behandlung, die Hypnose würde ihr sehr helfen, hatte sie gesagt.
    Killian atmete durch, schwang sich aus dem Sofa und warf sich seine Jacke über. Er musste sowieso nach Bötzingen, weil er ein paar Fotos vom dortigen Freibad schießen wollte. Früher war es für ihn der größte Spaß gewesen, im Regen zu baden. Das Gefühl der völligen Nässe ließ ihn zum Fisch werden. Er schnappte seine Rolleiflex und öffnete das Schiebetor des Ateliers.
    Wie ein Morlock, der aus der Unterwelt ans Tageslicht gekrochen kam, blinzelte Killian in den zerrissenen Himmel. Die Fetzen, die sich die Sonnenstrahlen bereits durch die Wolkendecke geschnitten hatten, blendeten ihn. Er warf einen Blick auf die Kamera und überlegte einen Moment, ob das Regenprojekt damit nicht beendet war. Aber das Schwimmbad wollte er doch noch mit ihr fotografieren, ehe er wieder auf die digitale Nikon umsteigen würde. Das Schwimmbad gehörte zum Element Wasser. Vielleicht krochen die Nebel aus den überfluteten Wiesen, die das Schwimmbecken umgaben? Dann könnte er den Regen in umgedrehter Bewegung fotografieren: von unten nach oben.
    Er hatte lange nicht mehr mit der 6x6-Kamera fotografiert. Und zu Beginn des Regenprojektes hätte er die Rolleiflex gerne mehrmals in tausend Stücke
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