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Um die Wurst (German Edition)

Um die Wurst (German Edition)

Titel: Um die Wurst (German Edition)
Autoren: Michael Moritz
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antwortete eine scharfe Stimme hinter Belledin. Er drehte sich um und blickte in Margits grüne Augen. Wenn man es wusste, konnte man erkennen, dass Silke und sie Schwestern waren, aber nur dann. Margit war herber als ihre fünfzehn Jahre jüngere Schwester, auf ihrem Kopf wucherte ein wilder roter Schopf, der bereits von einigen grauen Strähnen durchzogen war. Auf ihrer spitzen Nase tanzten wilde Sommersprossen, die Haut war von der täglichen Arbeit im Weinberg gezeichnet. Trotz des energischen Kinns mit dem männlichen Grübchen ließen ihre vollen Lippen eine unerwartete Sinnlichkeit ahnen.
    Belledin war von Margit schon immer fasziniert gewesen. Früher hatten sie sie die rote Zora gerufen, nach der Heldin einer TV -Serie der späten siebziger Jahre. Tatsächlich hatte auch Margit eine Bande angeführt, mit der sie durch die Weinberge gezogen war und Schmuggler und Zöllner gespielt hatte. Irgendwann hatten sich dann allerdings die Grenzen von Spiel und Realität verschoben, und Margits Bande hatte Autos geknackt, um anschließend die Musikanlagen daraus zu verscherbeln. Belledin hatte damals die undankbare Aufgabe gehabt, Margit in Jugendhaft zu schicken und ihrem Vater zu erklären, dass es das Gesetz nun mal so vorschreibe. Seitdem hatte der alte Brenn mit Belledin kein Wort mehr gewechselt. Und auch mit Margit sollte er heute zum ersten Mal wieder sprechen.
    »Hallo, Margit. Lange nicht gesehen«, eröffnete Belledin den Versuch eines Gesprächs.
    »Kein Verlust, oder?« Margit grinste frech, dass sich kleine Grübchen in ihre Wangen schlichen. So verführerisch ihr Lächeln war, so giftig blitzte das Grün aus ihren Augen.
    Margit wusste, was sie Belledin schuldig war. Er hätte sie damals auch entwischen lassen können. Aber Belledin war jung gewesen, selbstgerecht und hatte sauber bleiben wollen. Ihr Lächeln verschwand.
    »Wollen Sie meine Schwester verhören? Dann bestellen Sie sie aufs Revier.« Sie drehte sich zu Silke und half ihr auf. Silke zeigte noch immer kein Gesicht. An Margits Arm wankte sie über den Kies zum hinteren Ausgang des Friedhofs.
    Belledin blickte den beiden stumm nach und zückte seinen Notizblock. Ganz sicher würde er Silke aufs Präsidium bestellen. Und nicht nur sie.
    *
    Erst jetzt wurde Killian klar, dass er eine ganze Woche zwischen Dunkelkammer und Sofa gependelt war, ohne auch nur ein einziges Mal das Atelier verlassen zu haben. Es schien ihm, als hätte hier draußen der Evangelist Johannes Anregungen für seine apokalyptischen Reiter finden können. Böschungen waren verwüstet, ganze Raine abgerutscht, Straßen unter Löß begraben. Überall versuchten Bagger und Traktoren die Schäden, die der Regen angerichtet hatte, zu beheben. Eine Katastrophe für die Winzer. Die wenigsten waren gegen solche Wetterschäden versichert. Noch im Juli hatte man von der besten Ernte seit Jahrzehnten gesprochen und sich hoffnungsvoll auf die Schulter geklopft, Experten prophezeiten gar einen Jahrhundertwein. Nun durfte man froh sein um jeden Tropfen, den dieser Jahrgang aus sich herauspressen ließ.
    Killian war nie ein großer Freund der Winzer gewesen. Da er nicht als Eingesessener galt, sondern ein Kind der Arbeiter war, die im Zuge der kleinen Industrie Bötzingens an den Kaiserstuhl gezogen waren, galt er als »Plaschtiker«. Der Begriff war aus dem Hochdeutschen »Plastik« abgeleitet worden, eine rotwelsche Kreation der Einheimischen. Das Unternehmen in Bötzingen, das zunächst Nichtbadener und später auch Gastarbeiter angezogen hatte, machte sein Geld mit der Fabrikation von Kunststoffteilen. Man begann mit Bierkästen, Regentonnen und Haushaltswaren, dann spezialisierte man sich auf Autostoßstangen. Was die Zukunft bringen würde, wusste niemand so recht. Aber irgendetwas mit Plastik würde es schon sein.
    Jedenfalls galt der Plaschtiker dem einheimischen Winzerkind als natürlicher Feind, ebenso zu bekämpfen wie eine Reblaus, was auf dem Schulhof manch blutige Nase mit sich gebracht hatte. Stibitzten die Plaschtiker die dunkelroten Kirschen aus den Plantagen, hetzten die Winzerkinder die Schäferhunde auf sie; naschten die Plaschtiker kurz vor der Weinlese von den reifen Trauben, krachte Schrot aus den Flinten der Obsthüter. Wurde dabei einer der Plaschtiker aus Versehen getroffen, zuckten die Winzer mit den Schultern; schließlich hatten sie nur auf Krähen gezielt. Man musste eben flink sein und durfte sich nicht erwischen lassen.
    Killian befand sich noch immer auf der
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