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Raine der Wagemutige

Titel: Raine der Wagemutige
Autoren: Connie Brockway
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1. KAPITEL
    Dieppe, Frankreich
    Aus den niedrig hängenden stahlgrauen Wolken nieselte ein feiner Sprühregen auf den Boden des Gefängnishofes. Armand, der Oberaufseher, wog seinen Knüppel in der Hand, warf ihn hoch und fing ihn wieder auf - seiner ohnehin nicht besten Laune war es alles andere als zuträglich, bei diesem Wetter draußen stehen zu müssen. Nicht länger als unbedingt nötig, schwor er sich.
    „Haltet seinen verfluchten Kopf so lange unter Wasser, bis er das Bewusstsein verliert, wenn es sein muss“, bellte er den beiden groben Wärtern zu, die sich mühten, den halb nackten Mann vor dem Wassertrog in die Knie zu zwingen.
    Sie hatten wenig Erfolg. Der Mann wehrte sich aus Leibeskräften, kämpfte wie der Teufel. Er kämpfte immer wie der Teufel. Immer, seit man ihn - nach seiner gescheiterten Flucht - aus dem Gefängnis in Le Havre hierher gebracht hatte.
    Armand zog die Uhr aus seiner Tasche und hielt sie so, dass das schwache Licht auf das Zifferblatt fiel. Fünf Uhr, und es war schon fast dunkel. Und kalt auch, dachte er, als er die feinen Dampfschwaden bemerkte, die von der bloßen Haut des Gefangenen aufstiegen. Verdammt kalt.
    „Verflucht, beeilt euch gefälligst!“ schrie er.
    In Kürze würde Madame hier eintreffen. Sie hatte ihren Besuch erst vor weniger als einer Stunde mit einer knappen Nachricht angekündigt, in der sie ihn aufforderte, eine Auswahl „fremdländischer Exemplare“ bereit zu halten. Besuche aus heiterem Himmel waren eigentlich nicht Madame Noirs Stil. Gewöhnlich ließ sie Armand weit im Voraus wissen, wann sie kommen wollte und was ihre Wünsche waren
    - oder besser ihr Verlangen - , so dass ihm genug Zeit blieb, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Besuch nicht mit dem eines seiner Vorgesetzten zusammentraf. Ihrer beider kleine Abmachung würde von ihnen nicht wohlwollend betrachtet werden.
    Aber die perversen Gelüste, die Madame heute plagten, schienen eine sofortige Befriedigung zu erfordern. Aristokraten, dachte Armand verächtlich und spuckte auf die vom Regen glitschigen schwarzen Pflastersteine. Wer vermochte ihre Launen und Grillen schon vorauszusehen? Wenn sie nicht so gut für die kleine Unterhaltung zahlen würde, die er ihr ermöglichte, hätte er sich geweigert, sie zu empfangen. Doch sie zahlte nun einmal gut.
    Der Lärm von dem Gerangel am Wassertrog drang in seine Gedanken und riss ihn aus seiner Versunkenheit. Der Gefangene war herumgefahren und hatte dem älteren Wärter seinen Ellbogen in den Unterleib gerammt. Der jüngere Wärter rächte diese Tat mit einem bösen Schlag an die Schläfe des Gefesselten. Die Haut über dessen Augenbraue platzte auf, und Blut begann aus der Wunde hervorzuquellen. Der Getroffene ging in die Knie.
    „Non, Pierre, du verfluchter Dummkopf!“ Armand stürzte, seinen Knüppel erhoben, zu der kleinen Gruppe. „Keine Zeichen einer Misshandlung! Ertränk ihn, wenn es sein muss, aber keine sichtbaren Zeichen, hörst du?“
    „Oui, keine Zeichen“, brummte Pierre missmutig.
    „Und du, Engländer“, wandte sich Armand an den Gefangenen, packte eine Hand voll der verfilzten Haare und zerrte den Kopf des Mannes daran hoch. „Du benimmst dich besser. “
    Der Engländer drehte den Kopf zu ihm um. Langes dunkles Haar fiel ihm in die Stirn, und ein zotteliger Bart bedeckte seine untere Gesichtshälfte, so dass seine Züge kaum auszumachen waren. Nur seine Augen glühten in dem fahlen Licht des Nachmittags.
    „Oder was?“ höhnte der Gefangene. „Sonst bringst du mich um?“ Ein boshaftes Lächeln flackerte über sein Gesicht und verschwand sofort wieder. „Ich fürchte, Freund Armand, deine Drohungen haben ihre Einschüchterungskraft verloren.“
    Erstaunt richtete Armand sich auf. Der Blick des Gefangenen folgte ihm - trotzig, aber auch seltsam leer.
    „Und warum?“ fragte Armand.
    „Du kannst einem toten Mann nicht mit dem Tod dro-hen“, stieß der andere in dem französischen Gossenkauderwelsch aus, das die Sprache des Gefängnisses war. „Ich habe die sauberen Kleider gesehen. Hat mein Vater sie für meine Hinrichtung geschickt? Was für eine rührend fürsorgliche Geste von ihm.
    Aber gleichgültig, ich verspreche dir, du wirst sie nicht sauber von meinem Körper bekommen, Armand“, schwor der Engländer. „Du wirst keinen Centime zusätzlich aus meiner Leiche herausschlagen, solange ich . .
    Pierres Faust traf ihn in den Magen und erstickte seine Worte. Lautlos sackte er in sich zusammen.
    Armand grinste.
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