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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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List Taschenbuch
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    www.list-taschenbuch.de

    Die Autorin dankt dem Conseil des Arts et des Lettres du Quebec für seine finanzielle Unterstützung.

    Die Arbeit der Übersetzerin wurde vom deutschen Übersetzerfonds gefördert.

    Mix
    Produktgruppe aus vorbildlich bewirtschafteten Wäldern und anderen kontrollierten Herkünften www.fsc.org Zert.-Nr.GFA-COC-1223
    © 1996 Forest Stewardship Council

    Dieses Taschenbuch wurde auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt.
    FSC (Forest Stewardship Council) ist eine nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation, die sich für eine ökologische und sozialverantwortliche Nutzung der Wälder unserer Erde einsetzt.

    Ungekürzte Ausgabe im List Taschenbuch List ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.
    1. Auflage Januar 2007
    © der deutschen Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2005/Claassen Verlag
    © 2004 by Editions du Seuil
    Titel der französischen Originalausgabe: Folie (Editions du Seuil, Paris) Umschlaggestaltung und Konzeption: RME Roland Eschlbeck und Kornelia Bunkofer
    Nach einer Vorlage von www.formvorrat.de Titelabbildung: »les amoureux« aus »requiem« © 2003 www.formvorrat.de Satz: LVD GmbH, Berlin
    Gesetzt aus der Goudy
    Papier: Munkenprint von Arctic Paper Munkedals AB, Schweden Druck und Bindearbeiten: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany
    ISBN-13: 978-3-548-60.697-2
    ISBN-10: 3-548-60.697-0
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    I m Nova, Rue Saint-Dominique, wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind, konnte niemand etwas für das Fiasko.
    Hätte ich das vorher gewußt, wie man so sagt, ohne zu sagen, was man eigentlich hätte wissen sollen, und ohne zu bedenken, daß Vorherwissen die schlimmsten Dinge heraufbeschwören kann, wäre also aus den Tarotkarten meiner Tante die Haarfarbe der Rivalinnen ersichtlich gewesen, die mich am Wendepunkt erwartet haben, und hätte man aus dem Jahr meiner Geburt berechnen können, daß du mir seit dem Nova nicht mehr aus dem Kopf gehen würdest, dann…
    An diesem Abend in der Rue Saint-Dominique habe ich mich sofort in dich verliebt, ohne zu bedenken, daß mein Ende seit meinem fünfzehnten Geburtstag feststand, ohne zu bedenken, daß du der letzte Mann in meinem Leben sein würdest und ich womöglich ohne dich in den Tod gehen müßte. Als wir uns besser kannten, wurde die Ungerechtigkeit, daß du eine Zukunft hattest, zwischen uns zum Problem.
    Heute weiß ich, daß ich mich wegen deines französischen Akzents in dich verliebte, so sprechen die Dichter und Denker, die vom anderen Ende der Welt kommen und unsere Schulen bevölkern, doch dein Akzent war besonders, er war durch die Jahre deines Aufenthalts in Quebec geprägt und unterschied dich von den anderen, von den Quebecern wie von den Franzosen, er machte dich zu einem Sprachrohr, wie mein Großvater über seine Propheten sagte. Wäre mein Großvater übrigens im Nova, Rue Saint-Dominique, gewesen, hätte er mich in deine Arme gestoßen, um dem Fiasko mehr Schwung zu verleihen; mein Großvater glaubte an die Schönheit des Scheiterns. Er war 1902 geboren und Landwirt, er kämpfte mit dem Boden und gegen drohende Mißernten, er war auf den Beistand des Himmels angewiesen, wenn er seine Familie ernähren wollte, und erwartete standhaft den Weltuntergang, das war sein großes Dilemma.
    Dein Akzent gab unserer Begegnung eine Chance. Als ich klein war, hat mein Vater jedes Buch zweimal gelesen, beim zweiten Mal las er es vor. Dadurch bekam die Geschichte für ihn mehr Gewicht, als ob seine Stimme die Worte prüfte, als ob er eine Botschaft von außerhalb erhielte. Wenn mein Vater vorlas und dabei im Wohnzimmer auf und ab ging, das Buch mit ausgestreckten Armen von sich haltend wie einen Widersacher, war er wie mein Großvater: Er suchte den Text zwischen den Zeilen und fand Gott.
    Daß du an diesem Abend mit deinem Akzent zu mir sprachst, bedeutete, daß jemand vor meinem Tod zu mir sprechen sollte, wie noch niemand zu mir gesprochen hatte, und das hieß, daß dein Mund dem Leben einen neuen Sinn einhauchen würde. Da wußte ich noch nicht, daß du zwar tatsächlich zu mir sprechen würdest, wie kein anderer Mann je zu mir gesprochen hatte, aber doch so, wie ich es erwartet hatte, und nicht, wie unersättlich liebende Frauen es erwarten, die durch den Mund ihrer Männer sich selbst verstehen wollen. Ich wußte nicht, daß auch ich ständig auf eine Weise zu dir sprechen würde, die du noch nicht kanntest, und daß du mich eben deshalb verlassen würdest,
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