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Treibland

Treibland

Titel: Treibland
Autoren: Till Raether
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wahrscheinlich gar nicht hier säßen.»
    Danowski lehnte sich im Sessel zurück und machte mit seiner freien Hand noch einmal die erschöpfte Kurbelbewegung.
    «James Phipps war der Sohn von Jenners Gärtner, acht Jahre alt. Der erste Mensch, an dem Jenner seine Pockenimpfung getestet hat. Indem er ihm Kuhpocken spritzte, die er aus einer offenen Pustel auf der Hand einer Magd entnahm. Die Magd hatte sich beim Melken mit Kuhpocken angesteckt. Am Kuheuter. Ihren Namen habe ich, ehrlich gesagt, vergessen. Jenner hatte beobachtet, dass Mägde, die sich mit Kuhpocken angesteckt hatten, diese Krankheit mit undramatischen Symptomen in kurzer Zeit überstanden und vollständig genasen. Und danach gegen reguläre Menschenpocken immun waren.»
    Danowski betrachtete Peters beim Sprechen. Er redete nicht wie ein Mensch, der Zeit gewinnen wollte, sondern schien trotz der widrigen Umstände fasziniert von seinem eigenen Vortrag. Was für ein Idiot, dachte Danowski zum ersten Mal. Und ihm fiel auf, wie oft er schon früher bei Ermittlungen am Ende an den Punkt gekommen war, an dem er den überführten Verdächtigen innerlich mit Schimpfworten belegte. Vielleicht haderte er deshalb mit seinem Beruf. Weil er es am Ende entweder mit tragischen Figuren oder Idioten zu tun hatte.
    «Ein paar Tage später bekam der kleine James Gliederschmerzen, Kopfschmerzen und ein leichtes Fieber: die Kuhpocken. Die er aber schnell überstanden hatte. Und sechs Wochen später spritzte Jenner ihm dann Wundflüssigkeit aus einer echten Pockenpustel. James Phipps steckte sich nicht mit Pocken an, er zeigte keinerlei Symptome. Die moderne Impfung war erfunden.»
    Wolka Jordanovas Telefon vibrierte. Er erkannte Behlings Nummer auf dem Display. Sie hatte sich offenbar schneller befreit, als er gedacht hätte.
    «Und?», sagte Danowski ins Telefon.
    «Ich hab hier möglicherweise bald einen Haftbefehl», sagte Behling. «Und zwar ausnahmsweise nicht für dich, sondern für Wilken Peters. Wo bist du?»
    «Warum der Sinneswandel, Knud? Und wie kommt ihr auf Wilken Peters?» Danowski merkte sofort, dass er einen Fehler gemacht hatte. Peters unterdrückte, wie alarmiert er aussah.
    «Hier hat eine Frau Jordanova angerufen, von einer Tankstelle hinterm Klövensteen, und im Gegensatz zu dir klang die Dame relativ überzeugend. Ganz abgesehen davon, dass sie hoffentlich auf dem Weg in die Quarantänestation ist, weil sie mit dir Kontakt hatte. Du vergiftest, was du berührst. Aber einen Haftbefehl gegen Peters kann ich dir höchstwahrscheinlich klarmachen.»
    «Weil irgendeine Frau, die du gerade noch als Nutte bezeichnet hast, dir was erzählt hat?»
    «Deckt sich mit ein paar Notizen, die wir bei Finzi gefunden haben. Der hat wirklich ab und zu was in sein Notizbuch geschrieben. Ich dachte, der tut immer nur so.»
    «Sag dem Richter, er soll mich anrufen.»
    «Du glaubst mir nicht? Spinnst du? Sollen wir mit einem MEK kommen und den ganzen Scheiß in der nächsten Viertelstunde beenden? Wahrscheinlich bist du irgendwo in der Nähe vom Golfplatz, wir würden dich schon finden. Weißt ja, wie das geht.»
    Danowski ging nicht darauf ein. «Wer ist der Richter?»
    «Keine Ahnung», schrie Behling, endlich am Ende seiner Geduld. «Darum hat sich Jurkschat gekümmert, das Scheißfax ist noch nicht …» Danowski legte auf.
    «Probleme im Job?», fragte Peters süffisant.
    «Nicht vergleichbar mit Ihren», sagte Danowski und gab Peters ein Zeichen mit der Flinte, seine Geschichte weiterzuerzählen. Peters nickte einigermaßen gütig.
    «Es gibt ein Museum für Jenner, und zwar in dem Wohnhaus, das er der Familie des kleinen James gekauft hat, nachdem der Junge die Impfung überlebt hatte. Bezeichnend, oder? Das Museum heißt Edward-Jenner-Haus nach dem Arzt, nicht James-Phipps-Haus nach der Versuchsperson. Es wird regelmäßig beschmiert und geschändet, weil Jenner, der Millionen von Menschen das Leben gerettet hat, als Pionier der medizinischen Menschenversuche gilt. Schließlich hätte der kleine James auch sterben können. Und malen Sie sich den Moment aus, in dem James’ Eltern, weil sie arm waren, ihr Einverständnis gaben und mit ansehen mussten, wie ihrem Sohn verseuchte Flüssigkeit aus der Pustel einer kranken Magd gespritzt wurde. Malen Sie sich aus, wie der kleine James sich gefühlt hat, als Edward Jenner mit der Nadel kam. Wissen Sie, wie Nadeln und Spritzen damals aussahen?»
    «Wenn Sie noch einmal ‹der kleine James› sagen …»
    «Was meinen
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