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Treibland

Treibland

Titel: Treibland
Autoren: Till Raether
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Richtung Elbe, als seien dort Ruhe und Seelenfrieden zu finden.
    Aber es hatte keinen Zweck. Zwischen dem zehnten und dem elften Loch stand am Rande des Grüns ein Schuppen, darin Geräte für die Rasenpflege und die Wartung der Carts. Damit die Greenkeeper auf dem Gelände einen zweiten Stützpunkt hatten und nicht jedes Mal den kilometerlangen Weg zurück zum Haupthaus und seinen Wirtschaftsgebäuden machen mussten. Die Clubleitung nannte den Schuppen «Maintenance Point», und Steenkamp hasste ihn. Wenn er hier stand und spielte, wollte er keine Rasenmäher sehen und keine Vertikutierer und ganz bestimmt auch keine Ersatzreifen für Carts – und zuallerletzt das seltsam südländische Personal mit den schwarzen Hosen und den weinroten Windjacken. Die Clubleitung hatte sich bemüht, den Schuppen in der Landschaft verschwinden zu lassen: braunes Holz, das Dach mit Gras bewachsen. Aber meistens stand die Tür offen, und wenn man einmal angefangen hatte, sich daran zu stören, konnte man den Schuppen nie wieder übersehen.
    Wie immer, wenn er längere Zeit gestanden hatte, war Steenkamp überrascht, wie schwer seine Beine sich in Bewegung setzten und wie schwierig es war, ihnen die gewünschte Geschwindigkeit abzuverlangen. Er hörte, wie Peters und der Neue hinter ihm weiter in offenen Andeutungen über Geld sprachen, während er sich dem etwa fünfzig Meter entfernten Schuppen näherte. Die Tür stand offen, und an einer Hand auf dem Türblatt sah er von weitem, dass jemand vom Personal sich in Richtung Schuppeninneres bückte. Steenkamp näherte sich dem Schuppen so, dass die offen stehende Tür ihn auf seinem Weg verdeckte. Aus der Nähe sah er, dass sie aus schwerem, billigem Holz war wie eine Blockhüttentür in einem skandinavischen Freizeitpark, lackiert in einem beleidigenden Dunkelbraun, das viel zu billig glänzte, um zu einem Golfclub in den westlichen Elbvororten zu passen.
    Steenkamp blieb stehen. Durch den etwa fingerbreiten Spalt zwischen Türblatt und Zarge sah er eine junge, blonde, eher osteuropäische als südländische Frau, die offenbar gerade fand, wonach sie gesucht hatte. Sie wandte sich um und machte einen Schritt in Richtung Tür, und für einen Moment war Steenkamp nicht sicher, ob ihre Blicke sich durch den Spalt getroffen hatten.
    Als Steenkamp seine Hand auf die Außenseite der Tür legte, war er froh, einen Handschuh aus Kalbsleder zu tragen, denn er ahnte, wie trostlos und banal sich derlei lackierte Eiche anfühlte. Einen Sekundenbruchteil später, als er die junge Frau direkt dahinter wusste, stieß er mit der ganzen Kraft seines zwar alten, aber golftrainierten Armes die Eichentür Richtung Schloss, so, als wollte er sie wütend zuschlagen und wüsste nicht, dass dahinter ein Mensch war. Er hatte tief eingeatmet, seine Fußhaltung und Körperstellung auf optimale physikalische Wirkung hin ausgerichtet, und alles, was er im Körper hatte, in diesen Stoß gelegt. Er hatte seinen Arm noch nicht ganz durchgestreckt, als die Tür einen Lidschlag später gegen den Kopf der jungen Frau krachte. Er merkte, dass es ihr Kopf war und nicht die Schulter, denn das Schlaggeräusch kam von weiter oben, und es war hart, unnachgiebig, es hörte sich an, als hätte jemand auf einen Stapel Bretter ein weiteres geworfen.
    Die Frau ächzte, aber sie schrie nicht, als sie in Steenkamps Gesichtsfeld fiel. Die Tür hatte sie oberhalb der Schläfe und am Wangenknochen getroffen, das sah er an ihren Wunden. Die untere war eine Prellung, die obere eine Platzwunde. Es überraschte ihn nicht zum ersten Mal in seinem Leben, wie hell das Kopfblut war, und er merkte, dass ihm gefiel, wie es in ihr blondes Haar lief. Abgesehen vom fast perfekt gespielten Golf am achten Loch vielleicht der erste Lichtblick heute.
    «O mein Gott», sagte Steenkamp, «o mein Gott. Das tut mir so leid, ich habe Sie nicht gesehen.»
    Die Frau war zu Boden gesunken und machte keine Anstalten, aus eigener Kraft wieder aufzustehen. Er packte sie so hart am Oberarm, wie er es früher mit Jette und Jörn gemacht hatte, als sie Kinder gewesen waren und laut. Er drückte seinen Daumen in ihr Fleisch, bis er ihren Oberarmknochen spürte, und vielleicht war es dieser zweite Schmerz, der sie zu sich kommen ließ. Sie stöhnte und versuchte, ihn abzuschütteln, aber er ließ sie nicht, sondern richtete sie auf, bis sie unsicher schwankend auf ihren Füßen stand und sich gegen ihn lehnen musste.
    «Mein Gott», sagte Steenkamp, «ich wollte doch
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