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Treibland

Treibland

Titel: Treibland
Autoren: Till Raether
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    Prolog
    Wenn Cay Steenkamp etwas hasste, dann waren es Menschen, die ihn beim Golf störten. Und alle anderen Menschen.
    Sie hatten die Hälfte des Platzes gespielt, und noch war es so früh, dass andere Clubmitglieder nur hier und da als pastellfarbener Schmutz am Rande seines Gesichtsfeldes auftauchten, weit genug entfernt, um namenlos und stumm zu bleiben. Von der Elbe zog Nebel übers Grün, aber die Herbstsonne löste ihn langsam auf. In der Luft lag diese gewisse Kälte, die scharf genug war, um zu Steenkamp durchzudringen. Er war auf der Höhe seines Spiels: Peters und der Neue hatten keine Chance mehr, ihn zu beeindrucken.
    Seitdem Steenkamp das achte Loch mit erstaunlich anstrengungslosen drei Schlägen gespielt hatte, waren bei den beiden anderen die Prioritäten verrutscht: Statt sich auf ihr Spiel zu konzentrieren, führten sie eine aufdringlich lebhafte Unterhaltung und streiften dabei Themen, die Steenkamp wütend machten.
    «Nennen wir es eine Investitionsmöglichkeit», sagte Peters, dem ein paar Haarsträhnen vom fast kahlen Schädel flatterten. Der Neue hatte seine Standposition eingenommen, um den nächsten Schlag vorzubereiten, brach jetzt aber unverrichteter Dinge wieder ab, stützte die Hände in die Seiten, musterte Peters interessiert und sagte: «Eine Investition, hm? Aber so ziemlich am Rande, also, am Rande …»
    «Am Rande von allem», sagte Peters und lachte. Viel zu laut für den Golfplatz. Steenkamp biss die Zähne zusammen. Der Neue lachte auch. Er hieß Lorsch, und angeblich hatte er Geld. Neues Geld, keine zwei Generationen alt, mit Schnaps verdient. Er war braun gebrannt, schwer, ziemlich groß, vielleicht Mitte fünfzig: ein junger Mann. Für Steenkamp waren alle unter sechzig junge Männer. Weil sie noch Pläne und Ziele und etwas zu verlieren hatten. Er selbst war deutlich älter und lebte nur noch in der Gegenwart, und er konnte nicht sagen, dass es ihm dort gefiel.
    Der Neue hatte ein offenes Gesicht, aber diese Offenheit wirkte gelernt und aufgesetzt, angemessen für den Golfplatz und ein Gespräch unter Kaufleuten, bedeutungslos darüber hinaus. Hinter dem offenen Gesicht ahnte Steenkamp Zurückgezogenheit und Diskretion, und das beruhigte ihn. Der Neue war seit mindestens zehn Jahren im Club, aber Peters und er hatten ihn bisher geschnitten. Höchstens, dass Peters einmal eine anzügliche Bemerkung gemacht hatte über die Frau des Neuen, die ab und zu im Club zu Mittag aß.
    Aber die Situation hatte sich verändert: Seit Monaten versuchte Peters, ihn von einer Geschäftsidee zu überzeugen. Steenkamp verkrampfte sich innerlich, während er einige Meter abseits stand und die beiden bei ihrem absurden Geplänkel beobachtete. Was war passiert, dass einer seiner Mitspieler auf dem Platz oder im Clubhaus andere um Geld anging? Seit wann war eine halbe Million der Rede wert, oder besser: Peters’ Gefasel? Warum musste er, Steenkamp, sich das antun? Nur, weil Peters Dinge über ihn wusste, die andere nicht wussten? Weil er Peters auf den Leim gegangen war und ihm mit der hin und wieder aufflammenden Bedürftigkeit eines älteren Mannes von seinem Leben erzählt hatte, am Ende sogar von seinen Kindern? Von seinen Erfolgen und von Fehlern, die er mit den besten Absichten begangen hatte?
    Wut stieg in ihm auf wie Magensäure. Die Situation mit der Firma. Er wusste nicht, was ihn wütender machte: die Formulierung oder das, was sie bedeutete. Wenn er Peters aufforderte, nicht von «Situation» zu sprechen, sagte der: «Schieflage». Steenkamp fand Metaphern feige. Die Wahrheit war: Durch ein paar wenige falsche Entscheidungen war es ihm auf verblüffende Weise gelungen, die Firma, die seit mehr als siebzig Jahren im Besitz seiner Familie war, an den Rand des Ruins zu bringen. Ruin: Das war ein Wort, mit dem er etwas anfangen konnte. Bisher hatte er es immer nur auf andere angewendet.
    Um sich abzulenken, wandte Steenkamp sich ein wenig zur Seite, zog den Handschuh aus und steckte die Hand hinter den Hosenbund, tief, bis er dort alles wieder an seinen Ort schieben konnte. Seit der Prostataoperation bekam er in den seltsamsten Augenblicken Erektionen, weiche Schwellungen wie überreifes Obst. Peters und der Neue redeten immer noch, aber wenn man genauer hinsah, redete Peters, und der Neue hörte zu, seine Augen unsichtbar, weil sich in den tropfenförmigen Gläsern seiner Brille die Sonne spiegelte. Während Steenkamp den Handschuh wieder anzog, blickte er in
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