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Treibland

Treibland

Titel: Treibland
Autoren: Till Raether
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Boden auf und zieht es an.»
    «Du weißt, dass sie genau das tun werden», sagte Leslie und folgte ihm in den Hausflur, wobei sie die Tür festhielt, damit sie nicht ins Schloss fiel.
    «Manchmal kann ich nicht glauben, dass wir ein Schuhregal haben, das im Treppenhaus steht», sagte Danowski, während er seine Halbschuhe anzog. «Als würden wir halb auf der Straße wohnen. Und fragst du dich nie, was die Nachbarn nachts mit unseren Schuhen machen? Dieser hier sieht richtig traumatisiert aus.»
    «Was hast du für eine Sache um acht?», fragte Leslie und strich sich eine Strähne ihrer fast schwarzen Haare hinters Ohr. Danowski seufzte.
    «Wegen … der ganzen Sachen.»
    «Okay.» Leslie nickte mit ungeduldigem Ernst. «Eine Sache wegen der ganzen Sachen. Danke für das Gespräch.»
    «Die Kopfschmerzen, dass ich mich nicht konzentrieren kann, dass ich immer müde bin. Dass mir alles zu viel ist. Diese Sachen.»
    «Es heißt Leben.»
    «Philosophisch.»
    «Noch mal von vorn.»
    «Okay. Ich war beim Arzt. Um mal zu gucken, ob ich auch endlich einen von diesen Burn-outs habe.»
    «Und?» Warum gingen sie eigentlich ins Treppenhaus, wenn sie ungestört reden wollten? Und konnte es wirklich sein, dass seine Frau noch kleiner war als er und ihn jetzt trotzdem in den Arm nahm, als ginge er ihr nur bis zur Schulter?
    «Er hat mich an einen Neurologen überwiesen. Und das ist heute. Die Sache. Die Ergebnisse.»
    «Das ist nicht dein Ernst.» Leslie blickte auf. «Du hast das alles schon hinter dir? Die ganzen Untersuchungen?»
    «Ja», sagte Danowski und fasste sie an den Schultern, um sie besser sehen zu können. «Es hat irgendwie nie so richtig die Gelegenheit gegeben …»
    «Ach komm.»
    «Okay», sagte Danowski. «Ich wusste, es geht vorbei, wenn ich nicht darüber rede. Dass es dann nichts Schlimmes ist. Das ist ja meistens so.»
    «Kein Hirntumor.» Leslies Unerschrockenheit grenzte an Grausamkeit. «Kein Aneurysma.»
    «Genau», sagte Danowski in eine frische Stille, die erst durch dieses Wort zu entstehen schien.
    «Wir sprechen uns später», sagte Leslie schließlich. «Und du rufst mich an. Sofort. Alles Gute. Ich liebe dich.»
    «Ich dich auch», sagte Danowski und sah, dass er einen Fehler gemacht hatte, den er nie wieder würde gutmachen können: Leslie würde vergessen, wie verletzt sie gerade gewesen war, aber er würde es wissen und sich noch daran erinnern, wenn sie pensioniert waren und endlich allein auf diesen fünfundsiebzig Quadratmetern hier am Ottenser Rand von Bahrenfeld wohnten. Falls er so lange lebte. Er schloss die Augen, fasste das Geländer und ging die Treppe hinab, als stiege er in ein Schwimmbecken, das kälter war als erwartet.

2 . Kapitel
    Die Chefin stand am Fenster und blickte hinunter Richtung Stadtpark, wo, wenn man es wusste, unter dem dichten grünen Blätterdach die Kirschen, der Ginster und der Rhododendron blühten, beleuchtet von der halsbrecherisch schrägen Morgensonne. Sicher, da blühte noch mehr, aber das andere Zeug interessierte sie nicht. Sie pflegte ihre Vorlieben und blendete den Rest aus, das betrachtete sie als bewährtes Organisationsprinzip, als Talent, ohne das sie es niemals – davon war sie überzeugt – an die Spitze der Mordbereitschaften beim Hamburger Landeskriminalamt geschafft hätte.
    «Du siehst nur, was du sehen willst.» Ja, dieses Talent ließ sich auch in einen Vorwurf wenden, und ihre Freundin war darin Fachfrau. Gestritten hatten sie übers Heiraten, genauer gesagt darüber, sich eintragen zu lassen, womit der Fall für die Chefin bereits erledigt war: Sie verbrachte vierzig bis fünfzig Stunden in der Woche mit bürokratischen Vorgängen, da war ihr nicht danach zumute, in ihrem Privatleben einen weiteren zu feiern. «Wir haben doch alles», sagte sie dann, und ihre Freundin sagte dann eben: «Du siehst nur, was du sehen willst.»
    Sie hörte das irritierende und zugleich langweilige Geräusch, wenn jemand an eine bereits offene Tür klopfte, um diskret auf sich aufmerksam zu machen. Sie wandte sich vom Fenster ab. Der Inspektionsleiter, den sie nur zwei- oder dreimal im Monat sah und der ihr jedes Mal einen Schrecken einjagte, weil er so alt geworden war in den letzten vierzig Jahren. Zwei Monate älter als sie, um genau zu sein.
    «Morgen. Hast du schon gehört?»
    Augenblicklich verspürte sie eine leichte Unruhe: Nein, denn alles, was sie gehört hatte, seit sie ins Präsidium gekommen war, war nichts, wonach jemand in diesem Ton
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