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Treibland

Treibland

Titel: Treibland
Autoren: Till Raether
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Etagenbett gezogen und hing halb auf den Fußboden, als hätte jemand die Kinder im Schlaf gepackt und dabei aus Versehen einen Teil der Decken und Laken mitgegriffen. Braune FC -Sankt-Pauli-Bettwäsche oben, gestreifte Ikea-Bettwäsche in Rot und Gelb unten. Die Schränke und Schubladen waren aufgerissen, Spielzeug, Kleidungsstücke und Schulsachen über den Fußboden und die zu eng beieinander stehenden Möbel verteilt, als hätte jemand verzweifelt etwas gesucht. Unter dem mit halb abgekratzten Aufklebern verzierten weißen Kindertisch stand rotbraune Flüssigkeit in einer Lache, die an den Rändern bereits angetrocknet war. Und all das im Zwielicht aus Energiesparleuchtmittel und Maimorgen. Danowski nestelte an seiner Krawatte, um etwas mehr Luft zu bekommen. Dann wandte er sich in Richtung Flur und rief: «Stella! Martha! Seid ihr wahnsinnig? Was ist das hier?»
    Er hörte, wie die beiden im Badezimmer kicherten. Immerhin waren sie inzwischen offenbar dabei, sich die Zähne zu putzen. Oder zumindest hatten sie sich dahin begeben, wo die nötigen Utensilien in Reichweite standen.
    Leslie kam aus der Küche, er roch ihr Parfüm und hörte am Knarren der Flurdielen, wie weit sie noch entfernt war von ihm. Dann legte sie ihm den Arm um die Hüften, sah ins Kinderzimmer und sagte: «Auweia. Das mit dem Tuschwasser hab ich verbockt. Stella ist gestern Abend noch mal aufgestanden, weil sie unbedingt was malen wollte. Ich war einfach zu müde, um das zu verhindern. Und Martha wollte heute Morgen um fünf ein Bettlakenfort bauen. Aber der Rest …»
    «Fernsehverbot», sagte Danowski. «Bis zum Abitur.»
    «Finde ich prinzipiell gut», sagte seine Frau. «Aber ich glaube nicht, dass eines der Kinder das Abi schafft.»
    «Dann tun wir jetzt einfach so, als wäre nichts, und du schimpfst heute Nachmittag in Ruhe.»
    «Also wie immer.»
    Sie küssten sich auf die nachlässige, aber nicht lieblose Art und Weise, mit der Ehepaare Ende dreißig einander eine Zuneigung ausdrückten, an die sie sich gewöhnt hatten wie an immer noch schöne Wandfarbe. Obwohl, dachte Danowski: Anfang vierzig. Als er sich umdrehte, stand Stella im Flur und bemerkte mit neunjährigem Ernst: «Wenn ich ein eigenes Zimmer hätte, würde ich auch aufräumen.»
    «Das weiß ich», sagte Danowski. «Aber wenn du ein eigenes Zimmer hättest, wärst du nicht meine Tochter, und dann wäre es mir egal, ob du aufräumst oder nicht.» Leslie rollte mit den Augen, gab ihm einen Klaps auf den Hintern und ging in die Küche.
    «Das verstehe ich nicht.» Stella sprang ihm unvermittelt auf den Arm. Ihre Knochigkeit und Wärme durch den dünnen Baumwollschlafanzug überwältigten Danowski.
    «Na ja», erklärte er nach einer Weile, «ich bin der Mann, den deine Mama geheiratet hat, und deine Mama ist Lehrerin und ich bin Polizist, und im Moment können wir uns diese Wohnung hier leisten. Vielleicht ändert sich das eines Tages, aber dafür müssten wir aufs Land ziehen. Bis dahin teilen meine Töchter sich ein Zimmer. So habe ich das gemeint.»
    «Wir könnten nach Pinneberg ziehen», schlug Stella vor.
    «Du bist nicht mehr meine Tochter», sagte Danowski und tat, als wollte er sie zu Boden schleudern. Dann kam Martha aus dem Bad, nackt, und erzählte, wie sie zwei Tore geschossen hatte gegen den VfL Pinneberg am vorigen Wochenende. Leslie rief, die Kinder sollten sich anziehen, Drinnen- und Draußensachen, und gleich gehe es los, und ob er sie heute bringen könne, und im Radio missglückte die Übergabe von der Nachrichtensprecherin an den Wettermann, und auch wenn beide sich um freundliche Nüchternheit bemühten, hörte Danowski, dass sie genervt waren und es lange bleiben würden, und er spürte, dass Stella noch nicht bereit war, ihn loszulassen, obwohl sie langsam zu schwer für ihn wurde, erst recht, weil er Sorgen hatte und langsam gern allein gewesen wäre. Bei aller Liebe.
    Montag und Dienstag: Leslie. Mittwoch und Freitag: er. Donnerstag war der Tag, den sie immer wieder verhandeln mussten: Bringst du heute die Kinder oder ich? Eigentlich ging es jedes Mal schief.
    «Ich kann nicht.» Danowski sah auf die Uhr, obwohl er aus dem Radio wusste, dass es kurz nach halb acht war. «Ich habe eine Sache um acht.»
    «Ist schon okay», sagte Leslie. «Aber ich hab morgen für die Kinder einen Impftermin gemacht. Vielleicht kannst du den übernehmen.» Danowski nickte und nahm seine Tasche. Er küsste die Kinder und schob sie in ihr Zimmer. «Hebt irgendwas vom
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