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Treibland

Treibland

Titel: Treibland
Autoren: Till Raether
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Danowski nicht unterscheiden konnte, ob sie von einem Jungen oder einem Mädchen kam.
    «Papa, tut das weh?»
    Die Kamera schwenkte und wackelte zurück auf den, der sie auf dem Stativ befestigt hatte: ein Mann etwa in Adam Danowskis Alter, der aussah wie Cay Steenkamp. Vielleicht sein Sohn, war sein erster Gedanke, den er sofort selbst korrigierte: Steenkamp, Ende der Siebziger. Er trug einen weißen Kittel.
    «Nein», sagte er undeutlich, zu weit weg vom Mikrophon. «Ihr wisst doch, wie impfen geht. Das ist nur ein kurzer Piks.»
    «Ich kenn impfen nur mit Zucker», sagte eine Jungenstimme, und bevor die Kamera die Gesichter der beiden Kinder einfing, zuckte sie kurz an einem strengen Gesichtsausdruck von Steenkamp vorbei.
    Danowski kannte die Gesichter. Ein Junge und ein Mädchen, fast im gleichen Alter, glattes helles Haar, hellblaue Augen wie nicht echt, und er erinnerte sich, dass er sie sozusagen schon als Totenschädel gesehen hatte: auf dem Bild, das Kathrin Lorsch im Auftrag von Cay Steenkamp gemalt hatte, statt mit ihrem Mann auf Kreuzfahrt zu gehen.
    Der Steenkamp vor der Kamera hielt eine Tafel hoch, auf der einige medizinische Fachbegriffe zu sehen waren. Und darunter «Versuchsreihe  I / 1 » oder eine andere einstellige Ziffer. Die Tafel verschwand, Steenkamps Rücken füllte kurz das Bild, als er sie außerhalb des Bildes ablegte, und dann trat er mit Gummihandschuhen und einer aufgezogenen Spritze wieder in den Kamerabereich.
    «Wer traut sich als Erstes? Jette? Jörn?»

49 . Kapitel
    Dann blitzte etwas durch Danowskis Sichtfeld: Scheiße, dachte er, der Zeitschriftenständer.
    Der dunkle Schafwollteppich vor dem Ledersessel füllte sein Gesichtsfeld, und er spürte die Abwesenheit von Schrotflintenmetall in seiner Hand. Während er versuchte, sich gleichzeitig in eine geschütztere Position zu drehen und wenigstens auf die Hände und Knie zu kommen, sah er, dass Peters fertig mit ihm war und aus dem Raum rannte.
    Immer seltsam, jemanden rennen zu sehen, dessen Position im Leben kein Rennen vorsah. Und dann war Peters auch schon weg. Klar, der hatte andere Pläne. Der hatte ihn eingelullt. Der hatte genau gewusst, wann Danowski nur noch das Video sehen würde und sonst nichts mehr.
    Allzu lange darf der Fall nicht mehr dauern, dachte Danowski und kämpfte sich von den Knien auf die Füße, sonst bin ich am Ende berufsunfähig. Daran, wie kalt ihm am Kopf und wie rot seine rechte Hand war, sah er, dass er eine Platzwunde hatte. Ah, über dem Ohr, aber das ging, viele kleine, aber kein großes Blutgefäß, und wenigstens lief ihm da nichts in die Augen. Zwei Schritte reichten, um einen mittleren Schwindel dazuzurechnen. Peters war sowieso weg. Mit dem Fuß stieß er gegen die Schrotflinte, die neben dem umgestürzten Zeitschriftenständer lag. Klar, wer nahm so was mit, das war keine gute Fluchtwaffe. Ächzend hob er sie auf, und als er wieder stand, traf sein Blick den einer Frau mit erhobenen Händen, die im Türrahmen stand. Untersetzt, südländisch, Ende fünfzig, unscheinbar: wahrscheinlich die Putzfrau.
    «Polizei», sagte Danowski und registrierte, dass ihre Augen sich weiteten. Vermutlich auch ohne Papiere hier, dachte er. «Der Mann, der gerade rausgerannt ist. Haben Sie gesehen, in welche Richtung?» Laut und gestikulierend, wie immer, wenn er fürchtete, jemand könnte kein Deutsch.
    Langsam ließ sie die Hände sinken, weil sie offenbar begriffen hatte, dass von ihm keine Gefahr für sie und ihre Arbeit ausging.
    «Nein», sagte sie. Danowski nickte und drängte sich an ihr vorbei aus dem Raum und in die Nacht.

50 . Kapitel
    Es gab eine Sache, die Cay Steenkamp noch mehr hasste, als nachts vom Telefon geweckt zu werden: nachts von Wilken Peters am Telefon geweckt zu werden.
    Schlaf war ihm die größte Kostbarkeit geworden. Im Schlaf war Ruhe, und manchmal begegneten ihm Jette und Jörn. Im Schlaf waren sie nicht mehr so weit weg, er hatte Zeit für sie. Sie verstanden, wie viele Fehler er gemacht hatte, und er war stolz, sie zuzugeben. Alles andere wäre schwach gewesen.
    Und dann Peters, von dem letztlich die Reste von allem abgefallen waren, was ihn in Steenkamps Augen früher zeitweise gesellschaftsfähig gemacht hatte. Plötzlich bestand Peters nur noch aus schlechten Nachrichten, Panik und daraus, dass er Geld brauchte. Jetzt. Peters war auf dem Weg und beendete die Verbindung.
    Steenkamp ging durch die Dunkelheit in sein Arbeitszimmer, wo das Bild von Jette und Jörn hing. Er
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